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Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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wartet und nicht weiß, wohin es geht, und dieses Gefühl im Leben nie verliert.
    Du musst mir also erzählen! Du musst, auch wenn du sagst, du selbst wärst nicht wichtig. Das Persönliche ist so wichtig, wenn man sich die Geschichte irgendwie erschließen möchte.
    Ich muss jetzt zum Ende kommen, ich habe noch ein Seminar. Ich warte auf deine Antwort und grüße dich ganz herzlich,
    deine Helen.
    Der Brief war auf festes, rosa Papier geschrieben, mit dem Füller. Die Schrift war nicht zur Seite geneigt, sondern gerade, die Abstände zwischen den Buchstaben etwas größer als früher, was die immer noch krakelige, nervöse Handschrift etwas lesbarer machte.
    In dieser Zeit hatte Helen also angefangen, Julius nach seiner Kindheit zu fragen.
    2 Winternacht
    » Willst du nicht bei mir bleiben?«
    Julius legte die Hand auf Helens Hand. Helen zog sie nicht zurück. Sie spürte die warme, glatte Haut, die Hand war etwas größer als ihre eigene, und sie hörte Julius’ Stimme leise und genau, und es war, als würden sie aus der Umgebung herausgehoben, dem Restaurant, das durch kleine Tischlampen in ein klares und doch intimes Licht getaucht war. Herausgehoben aus dem Klappern, dem gedämpften Sprechen, dem Heranrollen des Beistelltischchens, auf dem der Kellner den Fisch filetierte und das Gemüse anrichtete.
    » Willst du nicht bei mir bleiben? Dann haben wir mehr Zeit.«
    Es klang vertraut, wie bei zwei Menschen, die sich schon lange kennen, und so war es ja auch, sie kannten sich schon fast vier Jahre lang. Er sah sie an, fragend, konzentriert. Helen zerbröckelte ein Stück Weißbrot, das auf der Tischdecke liegen geblieben war, nippte an ihrem Glas Wasser, überdeutlich fühlte sie den Glasanhänger an ihrer Halskette, er brannte auf der Haut, sie fasste danach. Sie nickte, er drückte ihre Hand.
    » Ich freue mich so!«
    Sie lächelte ihn an, verwirrt und etwas beschämt, mit der Antwort überhaupt gezögert zu haben.
    Sie konnte sich später nicht daran erinnern, wann oder wie sie das Restaurant verlassen hatten, ob sie noch in der Bar gewesen waren, wo er gern einen Whisky Sour trank, vor dem Zubettgehen, an welchem Punkt des Gesprächs, aufgrund welcher Worte, und wie sie in das Zimmer hinaufgegangen waren, das größer war als Helens Wohnung, ein Zimmer, in dem seine Aktentasche auf dem großen Sessel hinter dem Schreibtisch stand, sein zweiter Anzug und sein frisches Hemd im Schrank hingen. Ein Zimmer, in dem die Wände mit einer Tapete aus Stoff bezogen waren und der Teppichboden weich unter den nackten Füßen nachgab. Sie erinnerte sich später vor allem an die dicken weißen Handtücher im riesigen Bad, an die Bademäntel und Hausschuhe, die dort für die Gäste bereitstanden, und an den breiten Lichtstrahl, der ins dunkle Zimmer fiel.
    Helen lag neben Julius, hellwach. Er schlief. Er hatte sich auf die Seite gedreht und schlief, sie lag schon eine ganze Weile wach und hörte seine Atemzüge immer ruhiger, leichter und gleichmäßiger werden. Sie sah in die Dunkelheit, die ihr bläulich schien; von draußen fiel nur wenig Licht herein, aber nach einer Zeit konnte sie die Umrisse der Möbel erkennen. Später würde nur ein Bild bleiben, wie sie am Fuß des Bettes stand, ihre Strumpfhosen nahm, ein unordentliches, schwarzes Knäuel, und sie vorsichtig anzog, möglichst geräuschlos, und wie ihr Blick lange Zeit auf seinem Rücken ruhte, zum leicht geneigten Kopf mit dem kurz geschnittenen dunklen Haar hinaufwanderte, wieder hinab zu der leichten Decke, die die geraden, muskulösen Schultern freigab, unter der sich die angewinkelten, zum flachen Bauch hochgezogenen Beine abzeichneten. Vielleicht stand sie länger dort als es brauchte, den schwarzen Samtrock anzuziehen. Der Augenblick schien sich zu öffnen, und sie sah diesen Mann, dem sie sich nahe fühlte und der sie zum Einschlafen geküsst hatte, bevor er in seine gewohnte Haltung in die Seitenlage geglitten war, während sie sich noch einen Augenblick an seinen Rücken geschmiegt hatte, die Arme um ihn geschlungen, um ihn dann gleich wieder freizugeben, ihn seinem Schlaf zu überlassen, sich selbst, weil sie wusste, wie schwierig es sein konnte, so nah bei einem Menschen einzuschlafen. Sie sah ihn, wie er da lag, auf diesem übergroßen Bett, allein, in seinem Schlaf, sich diesem rätselhaften Zustand überlassend, Kräfte sammelnd, einfach, klar. Sie sah ihn durch alle Zeiten und in seinem Hier und Jetzt, sah, wie er am Morgen aufspringen würde, voller

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