Der Tag mit Tiger - Roman
schwer atmende Anne. Sie schlug die Augen auf, und ein undamenhaftes Aufstoßen entschlüpfte ihrem Mäulchen. Sie fühlte, wie Sahne und Frikadellen nach oben wollten, und mit einem Rest Anstand sprang sie von dem buntgeblümten Rock und würgte den Mageninhalt unter dem Rosenbusch aus.
»Arme Miez! Benny nicht böse, Benny nur dumm. Komm mit in die Küche.«
Elly stand auf und lockte Anne mit leisen, gurrenden Lauten, ihr nachzukommen. Nachdem ihr Magen sich wieder beruhigt hatte, fühlte Anne sich schon erheblich besser, und die Neugier überwog den letzten Schwindel. Sie folgte Elly, die sich am Spülbecken die Hände wusch und dann aus der großen Milchkanne ein Schälchen Milch abfüllte und mit Wasser mischte. Dazu legte sie eine Handvoll Trockenfutter auf einen Teller, das sie für Ninas gelegentliche Besuche vorrätig hatte. Dankbar stupste Anne ihre Waden.
Nina, die Milch schon von weitem roch, ließ Jenny, die innigmit ihr schmuste, sofort allein, und als die Schüssel klapperte, schoss sie ebenfalls in die Küche. Elly schüttete noch ein paar weitere Körnchen Trockenfutter in die Hand und reichte sie Nina. »Da, Kätzchen, ist gut für steife Ohren.«
Zwischen Daumen und Zeigefinger zog sie Ninas Schlappohren in die Höhe. Anne beobachtete es und befürchtete das Schlimmste, doch Nina begann ekstatisch zu schnurren und ließ sich das Ohrenkneten mit beseligtem Gesichtsausdruck gefallen. Dann verließ Elly die beiden und ging in den Garten zurück, um ihre Arbeit fortzusetzen.
Nina und Anne blieben noch eine Weile in der Küche.
»Ich mag die Kinder, auch wenn sie manchmal ein bisschen rau sind. Sie haben mich noch nie an den Ohren gezerrt.« Das war für Nina natürlich besonders wichtig.
»Ja, Elly ist nett«, fand auch Anne und schnüffelte schon wieder neugierig in der Küche herum. »Hier werden fremde Gewürze verwendet. Das riecht interessant und wirklich nicht schlecht.«
Nina, die Annes neugierige Blicke beobachtet hatte, schlug vor: »Komm, wir sehen uns ein bisschen im Haus um.«
»Können wir das denn so ohne weiteres?« Anne bekam plötzlich menschliche Skrupel, in fremden Wohnungen herumzustöbern.
»Sicher, sie kennen das von mir. Komm nur mit«, beruhigte Nina sie und stieß die Tür auf.
Anne zögerte noch, sich uneingeladen in dem Privatbereich anderer Leute umzusehen, folgte aber dann ihrem bisher gründlich unterdrückten Trieb und schloss sich der Kätzin an. Sie schlüpften durch die Küchentür und durch den Flur zur Treppe.
»Zuerst nach oben, da sind die Kinderzimmer und das Schlafzimmer.«
Nina lief voraus, und Anne sprang ihr nach kurzem Zögern über die gebohnerte Holztreppe nach. Dabei wurde sie von der Biegung der Treppe überrascht und stellte fest, dass sie mit ihren Pfoten keinen Halt auf dem glatten Holz fand. Ganze fünf Stufen rutschte sie zu ihrer persönlichen Demütigung völlig unelegant auf dem Hinterteil wieder hinunter, bis sie sich gefangen hatte. Schon erwartete sie schallendes Gelächter von oben zu hören, aber Nina blickte nur taktvoll in eine andere Richtung. Etwas langsamer vollendete Anne den Aufstieg und fand sich neben ihrer Freundin auf dem Treppenabsatz ein, von dem es zu den oberen Zimmern ging.
»Die Türen sind zu, da können wir nichts machen«, meinte Nina nach kurzer Inspektion.
»Ich könnte dir die Türen aufmachen«, schlug Anne ihr vor, aber die Kätzin lehnte ab.
»Ach, das lohnt hier oben sowieso nicht so sehr, der Keller ist viel reizvoller. Komm!«
Sie lief die Stufen wieder hinab, und diesmal folgte Anne ihr vorsichtiger.
Ein starker Geruch von frisch gehacktem Holz begrüßte sie unten. George Mazinde hatte erst vor wenigen Tagen aus einigen Buchenscheiten Feuerholz gemacht und ordentlich an der Kellerwand aufgestapelt. Da das Haus eines der ältesten des Dorfes war und damit noch aus einer Zeit stammte, als die Keller tief, dunkel und geräumig waren, um Vorräte und Gerümpel aufzunehmen, war es hier besonders aufregend. Da lehnten alte Holzregale an der Wand, auf denen Dosen und Gläser standen; Hobelspäne und Holzstaub, um eine Werkbank verstreut,zeugten von regen Bastelarbeiten und selbstgebauten Möbeln, Farbeimer und Terpentin waren von den letzten Renovierungsarbeiten übriggeblieben, und eine große Spinne bewachte ihr staubiges Netz, das sie über ein altes Waschbecken gespannt hatte.
Die Spinne interessierte Nina, ihr Jagdeifer meldete sich. Mit einem Pfotenhieb war das Netz zerstört, und die Spinne
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