Der Tag mit Tiger - Roman
verlieren. Schließlich meinte sie zögernd: »Wirwürden ganz gerne mit dir zusammen weitergehen. Was hältst du davon, anschließend noch ein paar Mäuse zu jagen?«
»Ja, ja, geht schon mal, ich habe doch gesagt, ich komme gleich nach.«
Hilfesuchend blickte Tiger zu Anne. Sie zuckte vielsagend mit den Ohren und probierte eine andere Technik. Mit einem scharfen Fauchen fuhr sie den liegenden Jakob an: »Jetzt raff endlich deine alten Knochen auf, und beweg deinen Hintern nach Hause! Emil wartet wahrscheinlich schon wer weiß wie lange auf dich. Willst du, dass er vor Sorgen einen Herzkasper kriegt? Los, Alter!«
Zu ihrem Erstaunen hatte dieser harsche Anpfiff Erfolg. Jakob rappelte sich mühsam auf, und als er auf allen vieren stand, waren Anne und Tiger auch schon rechts und links von ihm und stützten ihn. So zuckelten sie gemeinsam weiter auf Emils Haus zu. Jakob maulte nur sehr wenig und eigentlich nur, wenn einer seiner Begleiter eine der wunden Stellen an seinen Rippen unabsichtlich berührte.
Dann war ihr Weg zu Ende, und sie standen vor Emils Wohnzimmerfenster. Von draußen konnte man das bläuliche Licht des Fernsehers erkennen und deutlich die Stimme des Nachrichtensprechers wahrnehmen, denn Emil war nun wirklich ein bisschen schwerhörig.
Jakob saß vor dem Fenster und maunzte nach Einlass. Doch seine Stimme war – möglicherweise auf Grund der allgemeinen Schwäche oder wegen des Gesanges – nur ein jämmerlich leises Krächzen.
»O weh«, meinte Anne zu Tiger. »Das hört der Alte nie.«
Tiger antwortete nicht. Jakob setzte zu einem zweiten,ebenso erfolglosen Versuch an. Als sich daraufhin wieder nichts tat, kommentierte er das in seiner gewohnten Art.
»Habe ich’s nicht immer gesagt? Der alte Kracher ist taub wie eine hundertjährige Schildkröte.«
»Sollen wir es mal versuchen?«, schlug Anne vor.
»Na, wenn du es besser kannst … Hindern werde ich dich nicht.«
»Komm, Tiger, wir maunzen gemeinsam«, forderte sie ihren schweigsamen Begleiter auf.
»Wenn’s sein muss«, erklärte der zögernd, denn er mischte sich nicht gerne ein.
»Ja, und wenn Emil dann aufmacht, könnt ihr auch gleich in meinen Korb ziehen«, giftete Jakob sie unerwartet und ungerecht an. Anne legte die Barthaare an und strafte ihn mit einem missbilligenden Blick. Dann setzte sie zu ihrem ohrenbetäubenden Kampfschrei an, mit der Folge, dass drinnen ein Möbelstück polterte und mit einem Ratsch die Gardine aufgezogen wurde. Da im Wohnzimmer das Licht brannte, konnte Emil nicht viel erkennen, also schickte Tiger noch einen leiseren Maunzer hinterher. Die Terrassentür wurde aufgerissen, und Emil kam heraus.
»Jakob, ist etwas passiert?«, rief er ins Dunkel.
Jakob stand auf und schlich Emil um die Beine. Dann brach er müde auf dem Fußabtreter zusammen.
»Jakob, mein Katerchen. Was ist denn geschehen?« Mit mühsamen Bewegungen beugte sich der alte Herr zu dem erschöpften Jakob und hob ihn vorsichtig in die Arme. Dabei lächelte er die beiden anderen Katzen an. »Oh, ihr beide habt hier eben so ein Geschrei veranstaltet? So schön laut kann Jakob nämlich nicht maunzen, was, Alterchen?« Mit diesen Worten strich er dem alten Kater liebevoll über den Kopf.
Zu Annes größtem Erstaunen begann Jakob lauthals zu schnurren. »Bist doch mein Bester«, murmelte Emil in dessen aufgerichtete Ohren. »Und ich habe dir vorhin sicher Unrecht getan, als die Burschen das Auto aufbrechen wollten. Sie haben dir wahrscheinlich übel mitgespielt. Lass mal sehen!«
Vorsichtig legte er den schnurrenden Jakob in den großen, weich gepolsterten Korb am Fenster und strich dann liebevoll über dessen misshandelte Rippen. Jakob maunzte leise und leckte dann über Emils runzeligen Handrücken.
Als Anne und Tiger davon überzeugt waren, dass Jakob jetzt wohl umsorgt wurde, wandten sie sich ab und wollten verschwinden, doch Emil bemerkte ihre Absicht.
»Ihr zwei habt Jakob wohl geholfen«, vermutete er äußerst scharfsinnig. »Das soll belohnt werden. Moment mal.«
Er strich Tiger und Anne über die Köpfe und verschwand dann für einen Augenblick in der Küche. Anne ging währenddessen zu Jakobs Korb und wollte etwas sagen, doch Jakob tatzte nach ihr, bevor sie das Maul öffnen konnte. Irritiert zog sie sich zurück. Tiger kicherte im Hintergrund. Da kam Emil auch schon zurück und hatte zwei Schälchen mit Tartar dabei. Das größere von beiden stellte er an Jakobs Korb, das andere bot er den beiden Katzen draußen
Weitere Kostenlose Bücher