Der Tag wird kommen
anzurufen.
Hans Petter:
Okay!
Fera hat sich ausgeloggt.
Eine Ewigkeit vergeht und nichts passiert. Mich nervt ein bisschen, dass ich so aufgeregt bin.
Eigentlich braucht sie sich doch nur per Videochat einzuloggen. Das sollte für ein kluges Mädchen nicht so schwer sein. Aber wenn man glaubt, dass man sich in einer anderen Zeit befindet, ist es vielleicht ein bisschen komplizierter. Na gut, ich beklage mich nicht. Hauptsache, ich kriege sie endlich zu Gesicht.
Ich betrachte das kleine Fenster auf dem Bild schirm, das mich selbst zeigt. So wird sie mich sehen. Was wird sie denken? Sicher ist sie enttäuscht. Ich bin ein unscheinbarer Junge mit fusseligen blonden Haa ren und blasser Haut, die zu Pickeln neigt. Ich habe mein kariertes Hemd angezogen. Das steht mir am besten. Vielleicht wäre für diesen Anlass ein brauner Rollkragenpullover passender gewesen. Das ist be stimmt die Zukunftsuniform.
Ist es das Licht hier im Zimmer oder habe ich mächtig dunkle Ringe unter den Augen? Ich hätte wohl öfter an die frische Luft gehen müssen. Viel leicht auch ein bisschen Sport treiben. Soll ich eine Mütze aufsetzen? Eine Kappe? Nee. Aber ein bisschen Abdeckstift hätte nicht geschadet. Doch dafür ist jetzt keine Zeit mehr. Ich kann ja nicht im Badezimmer herumstehen, wenn sie endlich auftaucht.
Ich hoffe, sie kriegt das hin. Und kneift nicht. Viel leicht hat sie Angst, enttarnt zu werden, Angst, den Glauben daran zu verlieren, dass sie in der Zukunft lebt. In gewissem Sinne lebt sie wohl in der Zukunft, nach all dem Merkwürdigen zu urteilen, das sie im Kopf hat. Lebt in der Zukunft und spricht mit Hans Petter aus der Vergangenheit. Das ist vielleicht nicht so intelligent von ihr. Ich an ihrer Stelle hätte mir jemand anders ausgesucht. Obama oder vielleicht Scarlett Johansson. Aber die hätten bestimmt nicht geantwortet. Ich glaube, sogar Fera hätte eine Weile gebraucht, um Obama einzureden, dass sie aus der Zukunft ist. Nein, ein Loser mit viel Zeit war sicher eine gute Wahl.
Außerdem: Die Zukunft ist meine Zeit. Da werden alle sehen, wer ich bin. Wie schlau ich bin. Vielleicht gewinne ich den Nobelpreis in Physik. Oder ich schrei be dicke schlaue Bücher, die erklären, wie man leben soll. Wahrscheinlich bin ich stinkreich. Und baue mit dem Geld Schulen, in denen man sich um die Klugen kümmert und wo die Hackordnung abgeschafft ist.
Wie lange soll ich hier noch warten? Langsam habe ich es satt, mich selbst auf dem Bildschirm anzustar ren. Ich müsste auch mal pinkeln. Aber wenn ich jetzt ins Bad gehe, verpasse ich sie bestimmt.
Der Monitor knistert. Grüner digitaler Schnee fegt darüber hinweg und verdeckt eine schemenhafte Ge stalt. Mein Puls beginnt plötzlich zu rasen, und ich muss mich an die Tischkante klammern, damit ich nicht vom Stuhl falle. Peinlich.
»Fera?«
Nur die Ahnung einer Antwort. Es knistert und rauscht so laut, dass ich nichts verstehen kann.
»Bist du da, Fera?«
Das grüne Schneegestöber lichtet sich und für ein paar Sekunden kann ich sie sehen. Sie ist genauso wie auf den Bildern, nur mehr. Mehr da. Sie sieht auch mich. Ihre schmalen Augen weiten sich und sie winkt.
»Hans Petter! Hey! Das ist …«
Der Rest geht in einem erneuten rauschenden Schneesturm unter.
»Fera!«
Sie kommt in Bruchstücken zurück.
»… schön, dich zu sehen … dein Zimmer?«
Ich weiß nicht, was ich antworten soll. Doch das macht nichts. Sie lächelt. Ich mag ihr Lächeln. Das Bild ist jetzt klar. Anscheinend ist sie in ihrem Zim mer. Hinter ihr schwimmt der rote Fisch.
»Toll, dich zu sehen«, sage ich. »Du bist hübscher als auf dem Foto.«
Ich kann nicht glauben, dass ich das sage. Aber es stimmt.
»Danke«, antwortet sie.
Wir betrachten einander, ohne zu reden.
»Du bist anders«, sagt sie schließlich. »Ganz … an ders.«
Ich werde nicht fragen, was sie mit anders meint. Aber dann fällt mir ein, dass mein Profilbild eine Co micfigur zeigt.
»Ich wusste nicht genau, ob ich dir das hier zeigen soll«, sagt sie zögernd. Dann hält sie ein Blatt Papier vor die Kamera. Es ist ein Foto. Oder besser, die Ko pie von einem alten, verknitterten Foto. Von einem erwachsenen Mann mit dünnem blondem Haar, der selbstsicher in die Kamera lächelt. Und obwohl seine Augen so selbstsicher wirken, sind sie mir merkwürdig vertraut. Ich sehe sie jeden Tag im Spiegel. Das könnte ein Verwandter sein. Oder ich als Erwachsener.
Ich als Erwachsener. Das bin ich als Erwachsener. Bin ich das als
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