Der Talisman (German Edition)
brummte der Riese und erdrückte den Jungen fast mit seiner ungestümen Umarmung. »Jetzt bist du wieder gesund. Ich werde dir unsere Insel zeigen. Alle sollen meinen Sohn bewundern, denn der bist du jetzt!«
Weil Yasha noch zu schwach war, um lange Strecken zu laufen, setzte ihn der Riese auf seine Schultern oder trug ihn in seinen großen Armen auf der Insel herum. Er platzte fast vor Stolz auf seinen neuen Sohn und gab furchtbar mit ihm an. Das war Yasha sehr unangenehm. Doch besonders peinlich war, dass der Riese ihn wie ein Zuckerpüppchen herausputzte. Vor den täglichen Spaziergängen nahm er Yasha den Talisman ab und ölte den Jungen von Kopf bis Fuß ein, sogar seine Haare. In diesem Moment kamen die schwarzen Schmetterlinge angeflogen, die sonst friedlich an den Wänden des Häuschens saßen. Sie flatterten aufgeregt um Yasha herum – ob sie das Öl so sehr mochten? Der Riese schlug mit seinen großen Pranken nach ihnen, während er versuchte, Yashas Haare zu einem Zopf zu binden – aber dafür waren sie zum Glück noch zu kurz. Dann band der Riese Yasha ein buntes Tuch um die Hüften, wie es hier alle Inselbewohner trugen. Zum Schluss hängte er ihm den Talisman wieder um. Yasha kam sich sehr dumm vor, aber der Riese konnte es einfach nicht lassen. Sogar Yashas Namen änderte er. Er rief nur noch: Salvi-Co-Ilu.
Der Riese war
für die Inselbewohner
so etwas wie ein Häuptling und alle hatten großen Respekt vor ihm. Und weil Yasha ihrem Anführer das Leben gerettet hatte, wurde der Junge wie ein Held gefeiert und verehrt. Das freute den Riesen natürlich. Aber eines konnte er nicht leiden, nämlich wenn seine Leute Yasha in ihrer Begeisterung anfassen wollten. Da wurde der Riese jedes Mal ganz grob. Auch als der Junge wieder völlig gesund war, wich ihm der Riese nicht von der Seite.
Allmählich lernte Yasha seine neue Umgebung kennen. Die Bewohner von Cabeluda waren sehr arm und lebten vom Fischfang. Ihr eintöniges Leben wurde nur von wenigen Ereignissen unterbrochen. Manchmal kamen große Schiffe aus Brasilien und machten hier Halt. Das war eine tolle Abwechslung im Leben der Inselbewohner. Dann wurde die Beute, die der Riese auf seinen Raubzügen zusammengetragen hatte, an den Strand gebracht und gegen Zucker, Salz, gepökeltes Fleisch, Mais und vieles mehr eingetauscht. Wenn die Schiffe wieder am Horizont verschwanden, weinten die Leute bitterlich. Der Riese musste sich jedes Mal sehr anstrengen, um sie zu trösten. Ein anderes wichtiges Ereignis war das Fest der »Staccotas«. Die Staccotas sind eine Art Hering. Einmal im Jahr schwimmen sie in großen Schwärmen an Cabeluda vorbei. Sobald die ersten Fische gesichtet werden, segeln die Inselbewohner los und bleiben zwei Wochen auf See. Sie fischen den ganzen Tag und räuchern die Staccotas. Dann kehren sie erschöpft und glücklich oder unglücklich, je nachdem, wie der Fang ausfiel, nach Cabeluda zurück. Ja, das waren die großen Ereignisse im Leben der Inselbewohner.
Yasha begriff, dass der Riese
ein Pirat geworden war, um seine Leute ein bisschen zu »verwöhnen«. Zu diesem Zweck brach er zu seinen, wie er es nannte, »Erkundungsreisen« auf und wenn der Riese mit Beute beladen zurückkam, war das für alle ein großes Freudenfest.
Wie so oft saß Yasha auf einem sonnigen Platz vor dem Bambushäuschen des Riesen und dachte darüber nach, wie er herausbekommen könnte, wo sich seine Eltern und Steju aufhielten. Er hatte so sehr gehofft, sie hier auf Cabeluda zu finden. Aber mit dem Riesen sprach er lieber nicht mehr über dieses heikle Thema. Denn schon beim dem Wort »Eltern« holte der Riese mit beunruhigter Miene einen widerlichen Saft aus seinem Schrank. Nachdem er die braune Flasche gründlich geschüttelt hatte, bekam Yasha einen großen Löffel der eklig bitteren Medizin zu schlucken. Dieser Saft schmeckte wirklich so schauderhaft, dass Yasha seinen Kummer lieber für sich behielt. Kein Wort von den Eltern, keine Medizin, so einfach war das.
Eines Tages hörte Yasha, dass sich der Riese vor dem Haus laut mit jemandem stritt. Interessiert drückte er sein Ohr an die luftige Bambuswand. Natürlich wusste Yasha, dass man nicht lauschen sollte, aber er war einfach zu neugierig. Der Riese schrie: »Alumentai! Altes Weib! Verschwinde! Hast du verstanden, du alte Hexe!« Dann rief er zwei seiner Nachbarn zu sich: »Bringt die Alumentai sofort dorthin zurück, wo sie hingehört! Los, schnell und sorgt dafür, dass sie nie wieder hierher
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