Der Talisman (German Edition)
schrie der Junge, »Hilfe!« Aber der Riese war zu beschäftigt. Er musste sich selber gegen mehrere Angreifer verteidigen. Dabei lachte er verwegen und hatte richtig Spaß an dem Kampf.
Yasha kam immer mehr in Bedrängnis, die blaue Seeschlange hatte ihn fast völlig eingewickelt und starrte ihn jetzt mit gierig funkelnden Augen an. Gleich würde sie ihr großes Maul aufreißen und ihn verschlingen. Yasha drehte den Kopf zur Seite. Da sah er, dass die Luke zum Laderaum offen stand. Das empfindliche Schwanzende der Schlange fegte nervös über der Luke hin und her. Die Seeschlange zog sich fester zusammen, dabei rollte sie ein kleines Stückchen näher an die Luke. Wenn Yasha jetzt die Nerven behielt und seine Hand noch ein kleines bisschen weiter ausstrecken würde, könnte er den Lukendeckel erreichen.
Die Seeschlange
zischte leise,
als hätte sie seine Gedanken gelesen und zog sich noch fester zusammen. Dabei rollte sie wieder ein kleines bisschen auf die Luke zu. Yasha bekam kaum noch Luft. Verzweifelt streckte er seine Hand aus. Endlich: Mit den Fingerspitzen bekam er den schweren Deckel zu fassen. Dem Jungen war klar, dass er nur eine einzige Chance hatte. Er wartete, bis sich die zuckende Schwanzspitze der Schlange mitten über der Luke befand und schlug den Deckel zu. Die Seeschlange zischte vor Schmerz auf und lockerte ihre Umklammerung. Yasha sprang auf und griff nach seinem Enterhaken. Mit einem Schwung warf er die Seeschlange, die sich immer noch vor Schmerz wand, ins Meer.
Auch der Riese hatte seine Gegner besiegt. Lachend rief er: »Und jetzt ein Gläschen Rum für mich. Und du, Pechseele, räumst das Deck auf!« Damit verschwand er in der Kajüte. »Ein Gläschen Rum, und noch eins, und noch eins …«, tönte es aus dem Bauch des Bootes. Doch plötzlich hörte Yasha einen dumpfen Schlag, einen Schrei und verzweifeltes Röcheln. Schnell griff er nach einem Enterhaken und sprang in die Kajüte.
Eine Seeschlange hatte sich auf den Riesen gestürzt und würgte ihn. Sein Gesicht war schon lila angelaufen. Er war kurz vorm Ersticken. Wütend zischte die Schlange Yasha an. Reglos blieb der Junge stehen und einen schrecklichen Moment lang starrten sie sich in die Augen. Dann hob die Seeschlange den Kopf zum Angriff. Auf diesen Moment hatte Yasha gewartet. Zielsicher schleuderte er den Enterhaken wie einen Speer und traf die Schlange direkt unterm Kopf in den Hals. Ekliger, stinkender grüner Saft spritzte ihm ins Gesicht. Dann sank das Ungeheuer wie ein nasser Lappen in sich zusammen. Der Riese lag reglos am Boden. »Er darf nicht tot sein!«, schrie Yasha verzweifelt. Da fiel sein Blick auf die Rumflasche und er goss dem Riesen einen großen Schluck davon in den offenen Mund. Keine Reaktion. Verzweifelt raste er an Deck und holte einen Eimer Wasser. Den schüttete er über den bewusstlosen Riesen. Nichts passierte.
Yasha massierte
sein Herz und fächelte ihm
Luft zu. »Riese, Riese! Land in Sicht!«, log er. »Wach auf! Cabeluda!« Keine Reaktion. »Oh Talisman, bitte hilf ihm doch!« Aber der Talisman wollte nicht helfen. Vielleicht, weil er den Riesen nicht leiden mochte, aber es konnte genauso gut sein, dass ihn Yashas mutiger Kampf gegen die Seeschlangen zu sehr angestrengt hatte. Yasha schluchzte verzweifelt. Er fühlte sich von allen im Stich gelassen. Mit letzter Kraft baute er aus einem Segel eine Hängematte für den Riesen und wuchtete ihn hinein. Nachdem er ihn gut zugedeckt hatte, begab er sich wieder nach oben. Auf dem Meer regte sich kein Lüftchen. An segeln war gar nicht zu denken. Die Gegend hier wurde völlig zu Recht »die stillen Gewässer« genannt.
Das Boot sah schlimm aus.
Yasha warf die toten Ungeheuer ins Meer und säuberte das Deck. »Wenn ich nicht aus dieser Flaute herauskomme, bedeutet das unser Ende«, grübelte Yasha. Da fiel ihm die Seekarte ein, die der Riese in seinem Hochmut ins Meer geworfen hatte. Yasha entknüllte sie. An manchen Stellen war die Tinte verlaufen und man konnte nicht mehr alles erkennen. Mühsam entzifferte Yasha: »Unbedingt Sierra Leones Schwelle meiden! Lebensgefahr durch Seeschlangen und schlimmes Windstillegebiet! Sofort südlichen Kurs über den Äquator einschlagen! Da weht der Süd-Ost-Passat direkt in Richtung der Inselgruppe Fernando de Noronha.« Yasha holte sich ein Ruder und den Kompass. Dann paddelte er das Segelboot in Richtung Süden. Es war sehr mühsam und bald taten ihm die Arme weh. Aber er hielt tapfer durch und hoffte auf
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