Der Talisman (German Edition)
umarmte sie die alte Frau und lief zum Schiff.
»Hier, Salvi-Co-Ilu, vielleicht kannst du es entziffern!«, sagte Alumentai und reichte Yasha den Spiegelstein. Der Junge erkannte sofort, dass es ein Stück von dem Diamanten war, den er Steju in Brasilien gegeben hatte. Laut las er die Zeilen vor, die auf Ungarisch in den Stein eingeritzt waren: »Mein geliebter Yasha, die Liaweps haben deinen Vater geraubt‚ weil sie glauben, dass er ihr Gott ist. Sei ganz vorsichtig! Sie trinken aus Menschenschädeln! Ich reise nach Budapest und hoffe, dich dort zu finden. In Liebe! Deine Mutter!«
Erschüttert bat Yasha die alte Alumentai weiterzureden. »Nun ja! Als du hierher kamst – du, Salvi-Co-Ilu, der Held, der den Riesen gerettet hatte, ließ der Riese mich in ein Versteck auf der anderen Seite der Insel bringen. Dort hielten sie mich in einer tiefen Höhle in den Klippen gefangen, die man nur mit einem Boot erreichen konnte. Du solltest mich nie finden, damit ich dir nichts von dieser Geschichte erzähle. Als meine Wächter nicht aufpassten, konnte ich fliehen und kam ins Dorf, denn ich wollte dir den Spiegelstein geben. Was dann geschah, weißt du: Der Riese ließ mich sofort wieder in die Höhle bringen.«
Dankbar
umarmte Yasha die alte Frau.
»Danke! Danke, Alumentai«, sagte er, »jetzt endlich kann ich meinem Vater helfen!«
Der Riese entschuldigte sich beschämt bei Alumentai. Er versprach, alles wieder gut zu machen, was Alumentai durch ihn erlitten hatte. Ein beifälliges Raunen ging durch die Menge der Inselbewohner. Die Feier, die so laut und fröhlich begann, fand einen sehr ruhigen Ausklang. Die Bewohner von Cabeluda standen in kleinen Grüppchen zusammen und unterhielten sich leise. Alle waren zufrieden und auch ein bisschen nachdenklich. Der glücklichste Mensch an diesem Abend war Alumentai. Die alte Frau strahlte über ihr ganzes runzeliges Gesicht, und das nicht nur, weil sie jetzt frei war. Yasha hatte ihre lahmen Beine mit dem Talisman berührt und nun konnte sie wieder ohne Schmerzen laufen.
Die Feier neigte sich ihrem Ende zu. Yasha hatte sich schon von allen verabschiedet. Nun stand ihm der schwerste Teil bevor: dem Riesen Adieu zu sagen. Aber der war wie vom Erdboden verschwunden. Der Riesenpirat hatte das Fest still und leise verlassen. Und obwohl es Yasha unendlich schwerfiel, brachte er es nicht übers Herz, sich vor dem Abschied zu drücken. Also machte er sich auf die Suche nach ihm.
Der Riese hockte auf Yashas Lieblingsstein in der Geisterbucht. Yasha ließ sich neben ihm auf dem Boden nieder. Eine Weile saßen sie schweigend da und lauschten dem leisen Plätschern der Wellen. »Hier, nimm!«, fing Yasha ein wenig unsicher das Gespräch an und drückte dem Riesen den Diamant in die Hand. »Schneide ihn in Stücke! Mit jedem Splitter kannst du deine Leute verwöhnen, wenn die Schiffe aus Brasilien kommen. Erkundungsreisen brauchst du dann nicht mehr zu machen.« Da musste der Riese lachen. Sein Salvi-Co-Ilu war schon ein toller Junge! Eine Weile saßen die zwei noch am Ufer und unterhielten sich leise. Dann brummte der Riese: »Nun hau schon ab und pass gut auf dich auf!«
Die beiden warfen sich einen letzten Blick zu. Yasha ging ein paar Schritte und sagte: »Talisman! Ich wünsche, ich wünsche, ich wünsche zu den Liaweps zu gelangen, wo immer das sein mag.« Ein leichter, samtweicher Wind erhob Yasha und trug ihn wie eine Feder – weit, weit weg über den Ozean zu den Liaweps.
Yashas Reise zu den Liaweps wurde zu einem salzigen und sehr nassen Erlebnis. Der leichte Wind, der ihn auf Cabeluda wie eine Feder hochgehoben hatte, traf mitten über dem Pazifischen Ozean auf einen tropischen Wirbelsturm, einen Zyklon. Gierig riss der starke Zyklon das leichte Lüftchen, auf dem Yasha herangeschwebt kam, mit sich.
Dicke, feuchte
Wolkenmassen wirbelten
um Yasha herum und große, warme Regentropfen prasselten auf ihn ein. Furchtsam drückte Yasha den Talisman an sich. Er durfte ihn auf keinen Fall verlieren! Endlich sah er Land, dichten Urwald und schroffe Berge, die von zerklüfteten Tälern durchzogen wurden. Der heftige Sturm drückte die Bäume und Sträucher flach auf den Boden.
Während Yasha noch rätselte, über welchem Land er sich befand, wurde der Talisman sehr warm. Irritiert sah der Junge auf ihn herab, da war es auch schon passiert. Unsanft schlug Yasha mitten in die nassen Büsche. Fluchend befreite er sich aus den Schlingpflanzen und wischte mechanisch die
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