Der Talisman (German Edition)
wurde ganz blass. Junu Zoli schüttelte so schnell den Kopf, dass seine vielen Zöpfe fast waagerecht um ihn herum wirbelten. Das war wirklich ein ganz verrückter Plan!
Der Mond war aufgegangen. Ein leichter Wind fuhr raschelnd durch das trockene Gras. Leise, um die Drachen nicht zu wecken, schlichen sich die Dorfbewohner zu den Stränden und gruben die Dracheneier aus. Zehn Männer hielten Wache. Mit ihren Muschelpfeifen würden sie die anderen warnen, falls ein Ora kam. Körbe, Eimer und Kisten füllten sich.
Am Strand
vor dem Dorf schaukelte
das Fischerboot. Als der letzte Korb mit Dracheneiern in das Netz geschüttet wurde, begann es zu dämmern. Junu Zoli hob die Hand: »Alle wieder hier? Gut, Leute! Wer von euch lockt die Oras an den Strand?« … Totenstille! Das wollte keiner tun. Die Dorfbewohner waren schon seit Wochen kreidebleich, wenn sie nur an den waghalsigen Plan dachten. Mit weichen Knien musterte Yasha die gesenkten Gesichter. »Ob mein Vater auch solche Angst hätte? Auf jeden Fall würde er es machen!«, dachte Yasha. »Also ich!«, seufzte er schließlich. Zufrieden nickten alle. »Hier ist der Köder!«, flüsterte Junu Zoli. Angeekelt nahm Yasha die Drachendelikatesse entgegen. Die Oras lieben verdorbenes Fleisch, deshalb hatte man den großen Fisch mehrere Tage in der Sonne stehen lassen. Es stank erbärmlich. »Mögen die Götter dich behüten und deine Nase verschließen!«, riefen die Dorfbewohner und umarmten Yasha dankbar.
Die Sonne ging auf und weckte die Oras. Genüsslich rekelten sie sich in den warmen Strahlen und rieben verschlafen ihre Augen. Morgens trödeln Drachen immer ausgiebig herum. Das Wort schnell kennen sie nur in Zusammenhang mit Fressen. Auch jetzt dauerte es ewig, bis sie rülpsten und sich träge erhoben. Zeit für das Frühstück! Lahm wackelten die Drachen zu ihren Jagdverstecken und ließen sich im Gebüsch nieder.
Der mächtige Drache lag dösend auf einem Felsen. Langsam fielen ihm die Augen zu. Mit einem Mal schnellte seine Zunge aufgeregt nach vorne. Der Hauch eines köstlichen Geruches war an ihm vorbeigeweht. Frühstück! Nun war er hellwach. Bis in den hintersten Winkel der Insel drang der herrlich gammlige Geruch. Bald waren alle Oras auf den Beinen.
»Oras! Oras! Oras!«,
brüllte Yasha und raste
über die Insel. Dabei schleifte er den Fisch über den Boden. Der bestialische Gestank umgab den Jungen wie eine Wolke. Mit Vollgas rannte Yasha in die Kurve. Der Pfad, den er nun einschlug, führte zurück zum Dorfstrand. Plötzlich sah er etwas aus den Augenwinkeln. Gehetzt
schaute er über die Schulter. Da waren sie! Yasha ließ den Fisch fallen und begann zu rennen. Hinter sich hörte er die Drachen näher kommen. Er stolperte, rappelte sich auf und rannte weiter. In der Ferne sah er das Segelboot. »Renn, Yasha, renn! Gleich hast du es geschafft!«, dachte er. Die Dorfbewohner jubelten aus sicherer Entfernung, als der Junge außer Atem das Boot erreichte. Er kletterte an Bord, während die ersten Drachen den Strand erreichten. Sofort erblickten die Oras ihre Eier in dem Fischernetz. Ohne Zögern stürzten sie sich ins Wasser und schwammen auf das Boot zu. Mit zitternden Händen hisste Yasha das Segel. Langsam glitt das Boot aus der Bucht. »Talisman! Bitte hilf mir! Lass das Schiff schneller werden!«, schrie Yasha panisch. Der steinerne Talisman leuchtete kurz auf, so, als wollte er Yasha beruhigen. Die Eier schimmerten wie große Perlen im Wasser. Schnaubend krochen immer mehr Drachen ins Wasser. Es waren so viele, dass sie von weitem wie eine riesige Welle aussahen. Der auflandige Wind wurde stärker und das Boot hatte jetzt richtig Fahrt drauf. Die Oras mussten sich anstrengen, um Yasha auf den Fersen zu bleiben. »Oras, kommt! Schaut! Hier sind eure Kinder, schnell!«, feuerte Yasha sie an.
Als die Insel Komodo
in der Ferne
zu erkennen war, nahm Yasha Kurs auf den Leuchtturm. Die sichtlich ermüdete Meute schwamm weit hinter ihm. Mit einem eleganten Wendemanöver steuerte der Junge das Boot in eine Bucht und zerrte das Netz mit den Dracheneiern an Land. Als die Oras den Strand erreichten, schaukelte Yashas Boot schon ein gutes Stück vom Strand entfernt in den Wellen. Gerührt beobachtete der Junge, wie die erschöpften Drachen das Netz zerbissen und ihre Eier liebevoll mit Tatzen und Schnauzen den Strand hochrollten. »Vater!«, schrie Yasha laut. »Ich habe es geschafft! Du kannst stolz auf mich sein!«
Yasha vertäute sein Boot im
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