Der Talisman (German Edition)
darin ertastete Yasha kleine runde Dinger. Er riss die Tüte auf und lächelte erfreut, es roch nach gerösteten Erdnüssen. Kauend überlegte Yasha, wie es wohl der kleinen Heiligkeit gerade erging.
Als Yasha erwachte, wehte eine angenehme Brise. Vorsichtig hob er die Plane des Rettungsbootes und späte nach draußen. In der Ferne sah er eine weiß schimmernde Küste. Im Hintergrund erhob sich eine dunkle Kette aus unendlich hohen Bergen. Leise rutschte Yasha auf die andere Seite des Rettungsbootes. Von hier aus konnte er das Deck des Dampfers beobachten.
Die geheimnisvolle Kiste stand,
von sechs chinesischen
Soldaten bewacht, an Deck. Man hatte sie mit Stroh gepolstert und mit schweren Drahtseilen befestigt. »Was ist bloß so Wertvolles darin? Ob der Inhalt etwas mit der kleinen Heiligkeit zu tun hat?«, rätselte Yasha. Ein schrilles Pfeifen riss ihn aus seinen Beobachtungen. Die Wachsoldaten nahmen Haltung an und salutierten. Der Kapitän beugte sich vor und klopfte vorsichtig gegen die Kiste. Dann prüfte er die Drahtseile. Plötzlich ging ein Ruck durch das Schiff. Der Dampfer hatte das Land erreicht und legte an. Yasha klammerte sich erschrocken am Rand des Rettungsbootes fest. Als er wieder aufschaute, sah er, dass sich die Marinesoldaten bereits in ordentlichen Reihen am Deck aufstellten. Die kleine Heiligkeit stand verloren neben dem Kapitän. Der Kleine sah so traurig aus, dass es Yasha weh tat, ihn anzusehen.
»Sie werden ihn gleich wegbringen!«, dachte er und fühlte einen dicken Kloß im Hals. »Schnell, Talisman! Bitte! Bitte! Bitte verkleide mich so wie die Soldaten!« Der Talisman glühte vor Aufregung, als er das Wunder vollbrachte. Im Nu stand Yasha in der Reihe der Soldaten an Deck. Der Talisman hatte ihn auf einen Platz ganz vorne in der Reihe geschummelt. Yasha trug eine weiße Uniform, einen weißen Mundschutz, schwarze Lederstiefel und einen Säbel. Der Soldat neben ihm kniff die Augen zusammen und warf Yasha einen bitterbösen Blick zu. »Du hast dich vorgedrängelt! Ich stand als Erster in der Reihe. Trau dich bloß nicht, meinen Platz vorne rechts an der Kiste zu nehmen!«, zischte er Yasha giftig zu. Yasha war es herzlich egal, ob er die Kiste vorne rechts oder hinten links schleppen würde. Hauptsache, er konnte sich unauffällig in der Nähe der kleinen Heiligkeit aufhalten. Also beeilte er sich, den verärgerten Soldaten mit einem unauffälligen Nicken zu beruhigen. Da wurde auch schon die Gangway heruntergelassen.
Zusammen mit dem
Verärgerten und
zwei weiteren Soldaten hob Yasha die Kiste auf ein Gestell aus Bambusstäben. Dann marschierten sie langsam von Bord. Vorne, stolz wie ein Pfau, der Kapitän, der die widerstrebende kleine Heiligkeit hinter sich her zog, gefolgt von seinen beiden Adjutanten, die mit zwei Lanzen den Takt angaben. Dahinter marschierte die Mannschaft. 1, 2, 1, 2 … immer im Takt am Kai entlang. Hier hatte sich ein Spalier von schaulustigen Chinesen versammelt, um die Militärparade und den kleinen Gefangenen zu bestaunen. Weiter im Takt ging es die Hauptstraße hoch.
Der Zug stoppte vor einem prächtigen alten chinesischen Haus. Sein hölzernes Pagodendach war mit geschnitzten Drachen und Dämonen verziert. Auf der Treppe vor dem Eingang warteten ein paar Männer in grauen Arbeiteranzügen. Auf dem Kopf trugen sie riesige Schirmmützen mit einem roten Stern. Hinter ihnen stand eine zierliche alte Frau. Der Kapitän und seine Offiziere brachten die kleine Heiligkeit zum Haus. Yasha beobachtete erstaunt, wie sich die Frau vor dem kleinen Jungen verneigte und er sie mit ernstem Gesicht segnete.
Erleichtert stellten Yasha und die drei Soldaten die schwere Kiste ab. Auf einmal hatte Yasha einen Geruch in der Nase, der ihm unangenehm bekannt vorkam, süßsauer und vor allem ekelhaft faulig. Dem Jungen stockte der Atem. Drachen! Es roch nach Drachen! Entsetzt drückte Yasha seine Nase so fest er konnte an die Kiste und schnupperte erneut. Es war ein ganz unglücklicher Moment, das zu tun, denn in diesem Augenblick wurde die Kiste hochgehoben, das raue Holz zerriss seinen Mundschutz und ratschte über seine arme Nase. »Aah! Aua!«, zerriss es ihn innerlich. Yasha wurde ganz schlecht vor Schmerz und vor Angst. Er versuchte, sein Gesicht im Schatten der Kiste zu verstecken. Blut tropfte auf seine weiße Uniform. Der Soldat, den Yasha verärgert hatte, schrie auf und deutete anklagend auf ihn. Das ist das Ende, dachte Yasha, als die Soldaten ihn ins Haus
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