Der Talisman (German Edition)
nörgelte er: »Aufpassen, ihr unwürdigen Söhne einer hundertjährigen Kanalratte! Seid doch vorsichtig mit den kostbaren Dracheneiern! He, du da! Drück es nicht so doll!« Yasha war stehen geblieben und registrierte missmutig, dass die Soldaten die Eier in Dr. Fengs Labor trugen. Dort wurden sie nach Größe sortiert in Körbe gelegt und in ein Regal gestellt. Nicht auszudenken, was passierte, wenn die Drachen schlüpften.
Yasha
saß vor dem
Thron und bewegte sich unbehaglich. Der einfache Arbeitsanzug, den man ihm gegeben hatte, kratzte ekelhaft. »Ich darf ihre Fragen nicht beantworten, Yasha. Diese Männer von der Regierung respektieren weder die Menschen in Tibet noch unseren Glauben. Darum habe ich kein Wort gesprochen, seit sie mich gefangengenommen haben. Sie tun zwar so, als wenn sie von mir lernen möchten, aber nur, um dieses Wissen gegen mein Land zu verwenden«, erklärte die kleine Heiligkeit gerade, während sie einen Kopfstand auf dem Thron probierte. Da öffnete sich die Tür. Sofort setzte sich der kleine Lama ordentlich hin und machte ein ausdrucksloses Gesicht. Unter Verbeugungen betrat eine Frau den Raum. Die Miene des kleinen Lamas hellte sich auf. »Danke für den Tee, ältere Schwester!«, krähte er und rannte der Frau entgegen, um ihr die Kanne abzunehmen. »Buttertee, Yasha! Den bekomme ich hier nur ganz selten.« Mit leuchtenden Augen setzte sich der kleine Lama neben Yasha und füllte zwei Tassen. Frau Wu strich dem Kind liebevoll über den Kopf und verließ leise den Raum. Yasha war fasziniert. Der kleine Lama konnte verspielt sein wie ein ganz normaler siebenjähriger Junge und im nächsten Moment redete er ernsthaft und klug über die schwierigsten Themen, die man sich nur vorstellen konnte. Für den kleinen Lama war das gar nichts Besonderes. Schließlich war er die Wiedergeburt eines sehr heiligen Lamas und seine Weisheit stammte aus den Erkenntnissen der vielen Leben, die er bereits auf dieser Welt verbracht hatte.
Als die Wachen Yasha wieder abholten, waren viele Stunden verstrichen. Auf dem Flur wartete der grau gekleidete Chinese auf ihn: »Und, Langnase? Wie hat der kleine Teufel deine Nase so schnell geheilt?«, fragte er ohne Umschweife und fixierte Yasha mit schmalen Augen. Yasha biss sich auf die Lippen. Mit einer so prompten Befragung hatte er nicht gerechnet. »Ähm, na ja, also …«, stotterte er und kratzte sich dabei verlegen im Nacken. Ungeduldig schnipste der Graugekleidete mit den Fingern. Aber Yasha hatte sich schon gefasst und log dreist drauf los. Er band dem Graugekeideten einen Bären nach dem anderen auf. Der kleine Lama habe über das Wetter und Essen geredet, er wünsche sich die Dracheneier gebraten. Das Gelbe sollte auf keinen Fall flüssig sein, sondern durchgebraten. Nachdem Yasha so gut in Schwung war, hätte er aus dem Stegreif noch unendlich viele Schwindeleien erfinden können. Aber der grau gekleidete Chinese winkte ungeduldig einen der Wächter heran und wedelte mit der Hand. Ohne Umwege brachte der Soldat Yasha in seine Unterkunft.
Die Tür fiel
mit einem lauten
Krachen ins Schloss und Yasha war allein. Von seinem Fenster aus blickte er über den schwach beleuchteten Hof. Im Hausflügel gegenüber öffnete sich die Tür von Dr. Fengs Labor. Der alte Meister der chinesischen Medizin fuhrwerkte mit einem riesigen Besen im Labor herum. Patsch … schlug der Besen zu. Amüsiert beobachtete Yasha, wie etwas Kleines, vielleicht ein Rattenkind, aus der Tür huschte und blitzschnell in einem Blumenbeet verschwand. Aber Dr. Fengs Jagd schien noch lange nicht beendet zu sein. Er legte sich flach auf den Boden und spähte suchend unter einen Schrank. Mit dem Besenstiel stocherte er in den dunklen Ecken herum. Plötzlich witschte etwas an ihm vorbei. Mit einer Geschwindigkeit, die Yasha dem alten Herrn nicht zugetraut hätte, sprang er auf. Yasha kicherte entzückt, als Dr. Feng sein Opfer fegend und schlagend durchs Labor jagte. Schließlich entwischte auch das zweite Tierchen durch die offene Tür aus dem Labor. Doch Yasha verging das Lachen. Das kleine Tier lief über den Hof und kam ganz dicht an Yashas Fenster vorbei. Es war ein kleiner Drache.
In dieser Nacht
träumte Yasha von
der Kiste mit den Dracheneiern. Sie schwamm im Meer und um sie herum waren ganz viele kleine Wellen. Aber auf einmal wurden die Wellen zu kleinen Babydrachen.
Dr. Feng stand mit einem der grauen Anzugträger vor dem Labor. Der heilkundige Chinese verbeugte sich
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