Der Talisman (German Edition)
gerade und klagte mit weinerlicher Stimme: »Es tut mir sehr leid, ehrenwerter Genosse! Einige Drachen sind gestern ausgeschlüpft und haben sich heimlich auf die »Werde ganz groß«-Kräutermischung gestürzt. Sie haben alles bis auf den letzten Krümel aufgefressen. Danach sind sie einfach weggelaufen.«
Yasha war stehengeblieben und spitzte die Ohren. Wie würde die Kräutermischung von Dr. Feng auf die Drachen wirken? Der Soldat, der Yasha zum kleinen Lama bringen sollte, packte den Jungen ungeduldig am Arm und zog ihn weiter. Der kleine Lama saß wie jeden Morgen auf einem flachen Felsen am Strand und war völlig in seine Meditation versunken. Die Soldaten, die ihn bewachen sollten, hatten nicht viel zu tun. Der kleine Tibeter würde die nächsten zwei Stunden bewegungslos mit geschlossenen Augen auf seinem Stein sitzenbleiben. Plötzlich deutete einer der Männer auf den Boden. Was waren das für merkwürdige Spuren im feuchten Sand? In der Mitte eine lange, durchgehende Schleifspur und rechts und links davon die Abdrücke von Füßen. Man konnte leicht erkennen, dass das, was hier entlang geschlichen war, gefährliche Krallen besaß. Fragend sahen sich die chinesischen Soldaten an. In der Ferne tauchte die Langnase mit einem Wächter auf. Die Soldaten stießen sich gegenseitig an und lachten. Sie freuten sich schon darauf, den Neuankömmlingen die sonderbaren Spuren zu zeigen.
Yasha
sah den kleinen
Lama schon von weitem am Strand sitzen. Seine Bewacher standen in einiger Entfernung in den Dünen. Scheinbar hatten sie dort etwas Interessantes entdeckt. Plötzlich zuckte Yasha zusammen. Zwei riesige Drachen pirschten sich an den Felsen der kleinen Heiligkeit heran. Sein chinesischer Begleiter stieß einen lauten Warnschrei aus: »ACHTUNG! DRACHEN!« Nun hatten auch die Wächter des kleinen Lamas die Gefahr erkannt. Sie zückten ihre Pistolen und schossen auf die großen Echsen, aber das nützte nichts, denn Drachenpanzer sind stahlhart. »Halt!«, schrie Yasha entsetzt: »Halt, ihr trefft noch den Lama!« Die Drachen erreichten die kleine Heiligkeit und griffen an. Der kleine Junge wirbelte durch die Luft.
Sein Umhang bauschte sich auf und sah aus wie eine fliegende gelbrote Blume. »Mein Gott! Talisman! Zu Hilfe, Talisman!«, schrie Yasha verzweifelt und raste los. Und der steinerne Schmetterling half – und wie er half! Seit ihrem Aufenthalt auf Padar hasste er Drachen. Wütend begann er zu glühen und bündelte seine ganze Kraft. Auf dem ruhigen Meer entstand eine Welle, die sich höher und höher aufbäumte. Yasha erreichte den kleinen Jungen und packte ihn an seinem gelbroten Umhang. Gerade noch rechzeitig sprangen sie auf den Kamm der Welle, die sich wie eine Brücke in die Luft erhob. Yasha stemmte die Füße in das schäumende Wasser, wie Surfer glitten sie auf dem schäumenden Kamm hin und her. Der kleine Lama hielt Yashas Hand fest und lachte fröhlich.
Unter ihrer Wellenbrücke sahen sie China immer kleiner werden. Höher und höher spannte sich das Wasser über das Land. Unter ihnen griffen die Menschen zu ihren Regenschirmen. Der Talisman grinste verschmitzt, denn die Wasserbrücke verlor auf ihrem Weg viele Wassertropfen. Sicher wunderten sich die Menschen unten auf der Erde, dass es Salzwasser regnete! Ein letzter steiler Anstieg hinauf auf die Hochebene Tibets, dann hatte die Wasserbrücke ihr Ziel erreicht. Yasha und der kleine Lama landeten auf einem sandigen Feld. Die Wellenbrücke hörte auf zu schäumen und zog sich leise zischend zurück.
»Yasha, ich danke dir
von ganzem Herzen! Endlich
bin ich wieder in Tibet. Du musst jetzt dorthin gehen, wo der schwarze Punkt zwischen zwei weißen Riesen leuchtet. Dort erwartet dich jemand, den du gut kennst!«, sagte der kleine Lama. Er sprach oft so rätselhaft. Yasha fluchte innerlich und schaute in die Richtung, in die die kleine Heiligkeit mit dem Finger zeigte. Als er sich wieder umdrehte, war der Tibeter verschwunden.
Über die weite Einöde wehte ein eisiger Wind. Er pfiff durch den Steinhaufen neben Yasha und ließ die Gebetsfahnen flattern. Es klang so, als ob tausend Geister laut und klagend heulen würden. Yasha fror erbärmlich, aber noch schlimmer war das Gefühl, allein zu sein. Der Kloß in seinem Hals wurde immer größer. »Wie kann der kleine Lama so einfach verschwinden und mich, seinen Retter, allein lassen? Das ist gemein von ihm!«, schluchzte Yasha und Tränen rollten über sein Gesicht. In der Kälte erstarrten die
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