Der Talisman
Seine Schlusslichter blitzten kurz im regennassen Dunkel am Ende der Auffahrt auf und spiegelten sich wie schmutzigrote Pfeile auf dem Pflaster.
»Das ist grandiose« sagte Jack und wandte sich zu Wolf um, der vor seinem Zorn zurückwich. »Das ist einfach grandios ! Wenn er CB-Funk im Wagen hat, dann ist er jetzt schon auf Kanal neunzehn, schreit nach der Polizei und erzählt jedem, der es hören will, dass ein paar Irre versuchen, von Arcanum aus mitgenommen zu werden. Jason! Oder Jesus! Oder wer auch immer, mir ist es egal! Willst du erleben, wie ein paar verdammte Nägel gehämmert werden, Wolf? Du brauchst das nur noch ein paar Mal zu machen, dann wirst du spüren, wie sie gehämmert werden! Wir werden es sein, die gehämmert werden!«
Erschöpft, verwirrt, verzweifelt, fast am Ende seiner Kräfte hatte sich Jack dem kleinlauten Wolf genähert, der ihm, wenn er gewollt hätte, mit einem kräftigen Schwinger den Kopf von den Schultern reißen konnte, und Wolf wich vor ihm zurück.
»Nicht schreien, Jack«, stöhnte er. »Dieser Geruch – da drin zu sein –, eingeschlossen mit diesem Geruch …«
»Ich habe nicht das geringste gerochen«, schrie Jack. Seine Stimme brach, sein entzündeter Hals schmerzte mehr denn je, aber offenbar war er nicht imstande aufzuhören; er musste schreien oder verrückt werden. Das nasse Haar hing ihm über die Augen. Er warf es zurück und versetzte Wolf dann einen Schlag auf die Schulter. Ein kurzes Aufklatschen, und seine Hand begann sofort zu schmerzen. Es war, als hätte er einen Stein geschlagen. Wolf heulte unterwürfig, und das machte Jack noch wütender. Die Tatsache, dass er gelogen hatte, steigerte seine Wut noch mehr. Diesmal war er kaum sechs Stunden in der Region gewesen, aber der Wagen des Mannes hatte gerochen wie die Höhle eines Tieres. Das durchdringende Aroma von kaltem Kaffee und frischem Bier (zwischen seinen Beinen hatte eine offene Dose Stroh’s gestanden), ein Luftverbesserer, der am Rückspiegel hing und roch wie trockener, süßer Puder auf den Wangen eines Leichnams. Und dann war da noch etwas anderes gewesen, etwas Dunkleres, etwas Nasseres …
»Nicht das geringste«, schrie er mit heiser brechender Stimme. Er schlug Wolf auf die andere Schulter. Wolf heulte wieder und wandte sich ab, krümmte sich zusammen wie ein Kind, das von einem wütenden Vater geschlagen wird. Jack begann, ihn auf den Rücken zu schlagen, und seine schmerzenden Hände ließen aus Wolfs Overall kleine Wasserfontänen aufspritzen. Jedes Mal, wenn Jacks Hand niederfuhr, heulte Wolf. »Also gewöhn dich gefälligst daran (klatsch!), denn im nächsten Wagen, der vorbei kommt, kann ein Bulle sitzen (klatsch!), oder es ist Mr. Morgan Sloat in seinem kotzgrünen BMW (klatsch!), und du benimmst dich wie ein Riesenroß, und am Ende sitzen wir beide in der Scheiße (klatsch!)! Hast du mich verstanden?«
Wolf sagte nichts. Er stand zusammengesunken im Regen, wandte Jack den Rücken zu und zitterte. Jack spürte, wie ihm ein Klumpen in die Kehle stieg, wie etwas Heißes in seinen Augen brannte. All das steigerte seine Wut noch mehr. Etwas in ihm verlangte danach, dass er sich selbst wehtat, und eine hervorragende Möglichkeit, das zu tun, bestand darin, dass er Wolf wehtat.
»Dreh dich um!«
Wolf tat es. Tränen rannen aus seinen lehmigbraunen Augen hinter den runden Brillengläsern. Rotz lief ihm aus der Nase.
»Hast du mich verstanden?«
»Ja«, stöhnte Wolf. »Ja, ich habe verstanden, aber ich konnte einfach nicht mit ihm fahren, Jack.«
»Und warum nicht?« Jack sah ihn wütend an, die zu Fäusten geballten Hände auf den Lippen. Oh, diese Kopfschmerzen.
»Weil er starb«, sagte Wolf leise.
Jack starrte ihn an, und seine Wut verflog.
»Wusstest du das nicht, Jack?« fragte Wolf sanft. »Wolf! Du konntest es nicht riechen?«
»Nein«, sagte Jack mit leiser, pfeifender, atemloser Stimme. Denn er hatte etwas gerochen, etwas, das er noch nie zuvor gerochen hatte. Etwas wie eine Mischung aus …
Es fiel ihm ein, und plötzlich verließen ihn die Kräfte. Er sank auf die Leitschienenplanke und sah Wolf an.
Scheiße und faulende Trauben. So ein Geruch war es gewesen. Das traf es nicht hundertprozentig, kam ihm aber nur allzu widerwärtig nahe.
Scheiße und faulende Trauben.
»Es ist der schlimmste Geruch«, sagte Wolf. »Er kommt, wenn die Leute vergessen, wie es ist, wenn man gesund ist. Wir nennen es – Wolf! – die Schwarze Krankheit. Ich glaube, er wusste nicht einmal,
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