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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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einem Kissen zu ersticken, während im Hintergrund die Stimme eines Ringkampf-Reporters vor sich hinleierte. Es war Orris gewesen, der die Ermordung von Phil Sawyer in Utah überwacht hatte (wie er auch die Ermordung von Phil Sawyers Twinner, des bürgerlichen Prinzen Philipp Sawtelle, in der Region überwacht hatte).
    Sloat fand Geschmack an Blut, aber letzten Endes war er dagegen so allergisch wie Orris gegen amerikanisches Essen und amerikanische Luft. Stets war es Morgan von Orris, einstmals als Morgan Klumpfuß verhöhnt, der die Taten ausführte, die Sloat geplant hatte.
    Mein Sohn starb; seiner lebt noch. Sawtelles Sohn starb; Sawyers Sohn lebt noch. Aber das lässt sich ändern. Wird sich ändern. Kein Talisman für euch, meine Heben kleinen Freunde. Euch steht eine radioaktive Version von Oatley bevor, und beide schuldet ihr den Waagschalen einen Tod. Gott hämmert seine Nägel.
    »Und wenn Gott es nicht tut, dann werde ich es tun, darauf könnt ihr euch verlassen«, sagte er laut.
    Der Mann auf dem Boden stöhnte abermals, als hätte er es gehört. Orris tat einen weiteren Schritt auf ihn zu, vielleicht in der Absicht, ihn mit einem Tritt zu wecken – doch dann schüttelte er den Kopf. In der Ferne hörte er Hufschläge, das leise Knarren und Klirren von Geschirr, die heiseren Rufe von Viehtreibern.
    Das würde Osmond sein. Gut. Sollte sich Osmond um die Angelegenheit kümmern – ihm selbst lag wenig daran, einen verkaterten Mann zu befragen, wenn er recht gut wusste, was der Mann zu sagen hatte.
    Orris humpelte zur Tür, öffnete sie und blickte hinaus in einen prachtvollen, pfirsichfarbenen Sonnenaufgang der Region. Aus dieser Richtung – der Richtung der aufgehenden Sonne – tönte der Hufschlag der herannahenden Reiter. Er gestattete sich noch einen Augenblick den Genuss dieses wundervollen Glühens, dann wandte er sich wieder nach Westen, wo der Himmel noch die Farbe einer frischen Prellung hatte. Das Land war dunkel – ausgenommen dort, wo zwei glänzende, parallele Linien das erste Sonnenlicht reflektierten.
    Jungen, ihr seid in den Tod gegangen, dachte Orris befriedigt – und dann kam ihm ein Gedanke, der noch befriedigender war: vielleicht waren sie beide schon tot.
    »Gut«, sagte Orris und schloss die Augen.
    Einen Augenblick später ergriff Morgan Sloat die Klinke der Tür zum kleinen Theater der Thayer School, öffnete seine eigenen Augen und überdachte seine Rückreise an die Westküste.
    Vielleicht war es an der Zeit, einen kleinen Ausflug in die Vergangenheit zu unternehmen. In ein Städtchen in Kalifornien, das Point Venuti hieß. Vorher vielleicht eine Reise nach Osten – ein Besuch bei der Königin – und dann …
    »Die Seeluft«, erklärte er der Pallas-Büste, »wird mir gut tun.«
    Er trat wieder ins Innere, bediente sich abermals aus dem Fläschchen in seiner Tasche (jetzt ohne die Gerüche nach Leinwand und Schminke wahrzunehmen) und machte sich erfrischt auf den Weg zu seinem Wagen.

 
     
     
     
Vierter Teil
     
     
    Der Talisman

 
Vierunddreißigstes Kapitel
     
    Anders
     
    1
     
    Jack merkte plötzlich, dass er, obwohl immer noch rennend, durch dünne Luft rannte – wie eine Figur in einem Zeichentrickfilm, die gerade noch Zeit für einen überraschten Blick hat, bevor sie fünfhundert Meter in die Tiefe stürzt. Aber es waren keine fünfhundert Meter. Er begriff nur, dass der Boden nicht mehr da war, und dann fiel er einen oder anderthalb Meter, noch immer rennend. Er taumelte und hätte sich vielleicht auf den Beinen gehalten, doch dann prallte Richard gegen ihn, und sie stürzten beide.
    »Pass auf, Jack!« schrie Richard – hatte aber offensichtlich nicht die Absicht, seinen eigenen Rat zu befolgen, denn seine Augen waren fest zusammengekniffen. »Pass auf den Wolf auf! Pass auf Mr. Dufrey auf! Pass …«
    »Ruhig, Richard!« Die atemlosen Schreie bestürzten ihn mehr als alles andere. Sie klangen, als wäre Richard verrückt geworden, völlig verrückt. »Ruhig, es ist alles in Ordnung. Sie sind fort!«
    »Pass auf Etheridge auf! Pass auf die Würmer auf! Pass auf, Jack!«
    »Richard, sie sind fort! Sieh dich doch um, um Jasons willen!« Jack selbst war noch nicht dazu gekommen, sich umzusehen, aber er wusste, dass er es geschafft hatte – die Luft war still und süß, die Nacht völlig lautlos bis auf das leichte Rauschen einer kleinen, angenehm warmen Brise.
    »Pass auf, Jack! Pass auf, Jack! Pass auf, Pass auf …«
    Wie ein böses Echo in seinem Kopf

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