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Der Tanz des Maori (epub)

Titel: Der Tanz des Maori (epub) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
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die Schmach der vergangenen Nacht ansehen. Aber ich wurde behandelt wie immer. Niemand vermutete oder ahnte, was mir widerfahren war. Nur der kleine Junior, der sonst oft endlose Monologe in seiner Kindersprache hielt, sah mich immer wieder ernst an und drückte mir Küsse ins Gesicht. Vielleicht haben die Kinder in ihrer Unschuld ein besseres Gespür für die Gefühle der anderen?
    Erst eine Stunde später kamen wir nach Hause zurück, mit einem Korb voller Gemüse und Fisch und einem großen Blumenstrauß, den ich mir trotzig von dem Haushaltsgeld gekauft hatte. Irgendwie gaben mir die leuchtend gelben und orangenen Blumen das Gefühl, dass ich mir etwas Gutes getan hatte. In der Küche holte ich mir eine große Glasvase und arrangierte die Blumen, während Junior auf dem Boden saß und versuchte, unsere Einkäufe zu benennen. »Toffel! Pfel! Fiss!« Er war gerade erst dabei, das Sprechen zu lernen. So verging bestimmt eine weitere Stunde, bis ich anfing, mir Sorgen um Miriam zu machen. Auch wenn sie sich gerne in ihr Zimmer zurückzog, um bewegungslos am Fenster zu stehen und mir und Junior zuzusehen – sie kam trotzdem jeden Morgen in die Küche, um eine Tasse Tee zu trinken und ein Stück Brot mit Butter zu essen. Heute Morgen war sie jedoch noch nicht da gewesen. Ich runzelte die Stirn. Dass Marama sich nicht meldete, lag daran, dass sie sich ein paar Tage frei genommen hatte, um ihre Eltern zu besuchen.
    Ich spielte noch eine halbe Stunde weiter mit Junior, dann entschied ich mich, dass ich es Miriam schuldig war, wenigstens kurz nach ihr zu sehen.
    Vorsichtig öffnete ich die Tür und spähte in das Zimmer. Die Vorhänge waren offen, die Sonne flutete durch die weit geöffneten Fenster in das Zimmer und blendete mich regelrecht. Merkwürdig, in den letzten Monaten hatte sie das Lüften ihres Zimmers immer mir überlassen. Ich sah zu ihrem Bett. Es war unberührt, so wie ich es gestern gemacht hatte. Jetzt wurde mir die Situation langsam unheimlich. Wo steckte Miriam nur?
    Vorsichtig und gegen das ungewöhnlich hell einfallende Sonnenlicht mit den Augen blinzelnd ging ich zum Fenster, um hinauszusehen. Lächerlich, dachte ich noch, denn Miriams Zimmer war nur im ersten Stock, warum sollte sie also aus dem Fenster springen? Da konnte man sich höchstens den Fuß brechen.
    Neben dem Fenster lag ein umgestoßener Stuhl, den ich unwillkürlich wieder aufstellen wollte. Ich machte einen Schritt darauf zu, während ich weiterhin angestrengt in den Garten spähte, um Miriam vielleicht doch dort zu entdecken. Da stieß ich mit der Schulter an etwas Nachgiebiges. Erschrocken machte ich einen Schritt zurück, gleichzeitig fuhr mein Kopf herum, um zu sehen, gegen was ich gestoßen war. Da sah ich sie, neben dem Fenster und den schweren Vorhangbahnen, im Schatten. Ich sah ihre Füße in den weißen Strümpfen, ihre Knöchel, über die der weite Rock fiel. Dann die blau-weißen schlaffen Hände, die Arme. Das bläuliche Gesicht mit den weit aufgerissenen Augen und der Zunge, die zwischen den Lippen hervorhing.
    Ich schrie.
    Schrie so laut und so lange es ging.
    Drehte mich um und rannte.
    Rannte die Treppe hinunter in die Küche, nahm Junior unter den Arm und lief, so schnell ich konnte, mit ihm aus dem Haus. Die Straße entlang, über den Platz, eine andere Straße entlang – bis hin zu dem alten Arzt, der sich in Seddonville niedergelassen hatte. Ich rannte einfach hinein, an den Wartenden vorbei und stand dann vor ihm. Er untersuchte gerade den Finger einer alten Frau, die vor ihm saß. Beide sahen mich überrascht an. Ich musste einen Augenblick lang Luft holen, dann stieß ich hervor: »Miriam! Miriam MacLagan hat sich erhängt! Ich weiß nicht, was ich tun soll, kommen Sie. Kommen Sie doch bitte! Bitte!«
    Er ließ tatsächlich alles stehen und liegen und folgte mir. Immer noch trug ich Junior fest im Arm, ich ließ den kleinen Jungen keine einzige Sekunde auf den Boden. Und er klammerte sich an mich, wie ein Ertrinkender.
    Als wir wieder in das Haus kamen, stand die Tür weit offen, wie ich sie in der Eile gelassen hatte. Der alte Doktor kam mit mir die Treppe hoch und keuchte so sehr, dass ich fürchtete, er könne selber einen Herzschlag erleiden.
    Beim Anblick von Miriam schüttelte er nur traurig den Kopf. »Das arme Ding!«, murmelte er.
    Damit kletterte er auf den

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