Der Tanz des Maori (epub)
konnte es kaum erwarten, endlich meinen Anaru zu heiraten. Alles, was ich wollte, war, das schreckliche letzte Jahr ungeschehen zu machen. Nie wieder wollte ich an die Nacht in der Küche, den Tod von Miriam, die Monate in Christchurch und meinen unglücklichen Sohn denken. Das ist mir auch gelungen. Anaru und ich heirateten, und ein knappes Jahr später kam schon unser erster Sohn zur Welt. Zwei weitere Kinder folgten, und mein Glück erschien mir vollkommen. Alle drei wurden gesunde, gute Erwachsene, die heute ihren Platz im Leben haben â inzwischen habe ich sogar schon Enkel, die fast erwachsen sind. Der einzige Schatten, der in dieser Zeit auf mein Leben fiel, war der Tod von Anaru vor drei Jahren. Sicher, wir sind beide alt gewesen â aber ich hätte nie gedacht, dass er mich eines Tages alleine lässt.
Eines Morgens war ihm nicht wohl, er schimpfte darüber, dass der Fisch vom Vortag wohl nicht ganz frisch gewesen sei. Dann brach er zusammen. Einfach so.« Sie deutete auf einen Farnbaum am Ende des Gartens. »Dort hinten knickten seine Beine ein, als ob er von einer Gewehrkugel getroffen sei. Der Notarzt konnte nur noch seinen Tod feststellen. Herzinfarkt. Selbst wenn der Arzt früher gekommen wäre â er hätte ihn nicht retten können.« Sie sah nachdenklich zu dem Farnbaum hin. Eine Weile lang schwiegen die beiden Frauen, bis Ruiha weiterredete.
»Ich vertreibe mir die Zeit in meinem Garten, helfe hin und wieder in dem kleinen Antiques-Laden aus. Aber mein eigentliches Leben ist mit dem Tod Anarus vorbei. An diese lang vergessene Zeit mit Ava, Angus und Miriam habe ich nicht mehr gedacht, bis du in den Laden gekommen bist. Du hast mich in meiner Ecke nicht gesehen â aber ich konnte dich beobachten und habe ständig erwartet, dass du mich ansiehst und mich begrüÃt. So, als ob es möglich wäre, dass Ava quer durch die Jahrzehnte auf einen Besuch kommen könnte.«
»Wie kam das Fotoalbum in den Laden?«, fragte Sina, obwohl sie sich die Antwort fast denken konnte.
»Ich habe irgendwann angefangen, dieses Haus hier gründlich aufzuräumen. Wenn meine Kinder einst alles erben, dann sollen sie nicht ständig über die Geheimnisse der Vergangenheit stolpern. Also habe ich alles in diesen Laden getragen. Nicht auf einmal, aber immer wieder ein paar Stücke, von denen nur noch ich wusste, was sie bedeuteten. Das Fotoalbum lag schon lange in dem Laden. Die Leute liebten es, darin ein wenig zu blättern, aber niemand wollte es kaufen. Genauso wie du. Du hättest es ja auch liegen lassen, wenn ich es dir nicht aufgedrängt hätte.«
Sina zuckte mit den Achseln. »Sicher. Was soll ich mit Erinnerungen an ein anderes Leben? Ich möchte mein Leben lieber mit eigenen Erinnerungen füllen.«
Nachdenklich sah Sina in den Garten. »Was machen wir jetzt? Brandon muss unbedingt erfahren, warum sein GroÃvater bei meinem Anblick so furchtbar erschrocken ist. Dabei hätte ich nie in der Vergangenheit geforscht, wenn er Brandon und mir nicht unsere Liebe verboten hätte. Dann wäre das Fotoalbum wohl wirklich irgendwo auf dem Speicher gelandet und hätte dort so lange auf jemanden gewartet, der nach der Wahrheit sucht, bis niemand mehr diese Wahrheit kennt.« Sie sah Ruiha an. »Du sagst doch immer, dass die Wahrheit sich ihren Weg sucht. Was spricht denn dagegen, dass jetzt endlich alle erfahren, was mit ihrer Familie geschehen ist â glaubst du nicht, dass Ewan auch ein Recht darauf hat, von seiner wirklichen Mutter zu erfahren?«
Ruiha sah Sina müde an. »Das mag sein, aber gib mir noch ein paar Tage Zeit. Dann bin ich vielleicht bereit dafür.«
Sina nickte. »Ich muss erst einmal mit Brandon sprechen. Er muss so schnell wie möglich aus Vanuatu zurückkommen. Stell dir vor, wenn er erfährt, dass du seine GroÃmutter bist!« Sie legte mit einer impulsiven Bewegung ihre Hand auf die knotigen Finger der alten Frau. »Was für eine Familie, die da zusammenkommt!«
Ruiha zog ihre Hand vorsichtig aus Sinas Griff. »Verzeih, wenn ich mich nicht freuen kann. Ich sehe immer nur, dass Ewan erst jetzt erfährt, wie sehr ich ihn verletzt habe. Wer weiÃ, vielleicht habe ich ihm schon immer gefehlt? Und ich habe keine Ahnung, wie seine Kindheit war ⦠Brandon hat nicht viel erzählt, oder?«
»Nein«, gab Sina zu. »Womöglich wurde in dieser Familie nicht so
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