Der Tanz des Maori (epub)
ich von so einem Tanz träume? Und zwar schon seit Monaten in fast jeder Nacht?«
»Keine Ahnung«, versuchte Brandon sie zu trösten. »Aber ich bin mir sicher, es kann nichts Schlimmes bedeuten. Immerhin träumst du von einem Tanz, nicht vom Krieg oder einem Kampf. Vielleicht bedeutet es auch einfach nichts, auÃer dass du irgendwann mal eine Dokumentation gesehen hast und jetzt dein Unterbewusstsein dir immer wieder einen alten Fernsehfilm vorspielt.«
Sina war nicht überzeugt. Sie kuschelte sich etwas tiefer in die Decke. »Wer wei� Irgendwann werde ich vielleicht auch dieses Rätsel lösen können ⦠Komm wieder unter die Decke, du musst mir deinen beeindruckenden Tanz nicht noch einmal vorführen!«
Mühsam richtete Ruiha sich auf und strich sich ihren Rock glatt. Die schräg stehende Nachmittagssonne tauchte ihren Garten in ein goldenes Licht. Nachdenklich zerrieb sie ein paar Blätter von den jungen Trieben ihres Manuka-Busches zwischen den Fingern. Der frische, süÃe Geruch stieg in ihre Nase. Vielleicht sollte sie sich bald mal wieder einen Aufguss aus diesen Blättern gönnen. Mit ein bisschen Glück wirkte er gegen ihre Arthritis.
Ein klappriges, hellblaues Auto kam langsam näher und blieb direkt vor ihrem Gartenzaun stehen. Heute musste der Aufguss wohl warten â das hier war der Besuch, auf den sie jetzt schon mehrere Monate lang gewartet hatte. Hin und wieder hatte Ruiha sogar schon daran gezweifelt, ob diese junge Deutsche noch einmal auftauchen würde, um den Rest ihrer Geschichte zu erfahren. Aber jetzt stieg sie als Erste aus dem Auto. Schlank, die blonden Haare zu einem schlichten Zopf zusammengefasst und mit einem einfachen weiÃen T-Shirt zur verwaschenen Jeans. Ihre FüÃe steckten in billigen Flip-Flops. Ruiha musste lächeln. Diese Sina war Ava nicht nur äuÃerlich ähnlich. Auch sie besaà die Gabe, sehr schlichte Kleider mit einem Stolz zu tragen, als ob sie eine Abendrobe vorführen würde.
Direkt nach Sina stieg ein junger Mann aus dem Auto. Muskulös, selbstbewusst und offensichtlich nicht so nervös wie die junge Frau. Ruiha lächelte den beiden entgegen.
»Ich habe euch erwartet!«, erklärte sie.
Sina streckte ihr die Hand entgegen. »Es tut mir leid, dass ich so lange nicht gekommen bin. Aber ich musste erst einmal in Deutschland ein paar Sachen zu Ende bringen und mein Examen machen ⦠Aber jetzt bin ich umso neugieriger, wie die Geschichte von Ava weitergeht.«
Ruiha nickte nur als Antwort. So, als ob sie mit dieser Erklärung gerechnet hätte. Neugierig sah sie Brandon an.
»Und das ist der junge Mann, dessen GroÃvater so wenig Wert auf deine Gegenwart in Neuseeland legt?«
Sina nickte. »Darf ich vorstellen? Brandon.« Sie lachte nervös. »Ich hoffe, er sieht niemandem aus der Vergangenheit ähnlich?« Bei diesem etwas schwachen Witz sah sie Ruiha forschend an. Offensichtlich fürchtete sie genau das: eine weitere Enthüllung, diesmal allerdings über Brandons Vergangenheit.
Ruiha musterte ihn noch einmal, dann schüttelte sie den Kopf. »Selbst wenn sein GroÃvater Ava irgendwie kannte â ich kann keine Ãhnlichkeit erkennen.« Sie winkte einladend. »Aber jetzt kommt doch erst einmal herein, ich habe ein wenig Limonade im Kühlschrank. Oder möchtet ihr lieber einen Kaffee?«
Sina nickte und folgte der alten Frau gemeinsam mit Brandon in das Haus. Ruiha setzte einen Kessel auf ihren Herd und füllte sorgfältig ein paar Löffel Kaffee in einen Filter. Während das Wasser allmählich anfing zu singen, wandte sie sich Brandon zu.
»Was machst du?«
Brandon lächelte stolz. »Ich habe vor ein paar Tagen mein Kapitänspatent bekommen. Es dauert nicht mehr lange, und ich werde mit einem Tanker über den Pazifik fahren.«
Ruiha nickte, offensichtlich wenig beeindruckt.
»Und deine Familie? Sina hat erzählt, du kommst aus Christchurch?«
»Nicht direkt Christchurch«, erklärte Brandon. »Wir leben in Charteris Bay. Direkt am Meer, gegenüber von Lyttelton. Und mit dem Meer hat meine Familie bisher auch ihr Geld verdient. Mein GroÃvater hat vor einer kleinen Ewigkeit eine Reederei gegründet. Irgendwann in den DreiÃigerjahren, da muss er noch ein ganz junger Mann gewesen sein. Unsere Reederei ist eine der ältesten überhaupt, er hat schon ganz früh nur
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