Der tanzende Tod
mir gibt es keine Frau mehr im Hause, welche jünger ist als sechzig. Du wärest innerhalb von fünf Minuten zu Tode gelangweilt. Das kann ich dir versichern, denn dies war seit jeher mein Schicksal. Nun muss ich wirklich gehen.« Sprach's und fegte hinaus, wobei ihre Röcke hin und her schwangen und gegen den Türrahmen schlugen, und wir hörten, wie sie rasch durch die Halle eilte.
»Ein verdammt feines Mädchen, deine Schwester«, meinte Oliver. »Wie traurig, dass sie keinen Mann gefunden hat, der ihrer wert gewesen wäre.«
»Das wird sie vermutlich noch, genügend Zeit und Zuneigung vorausgesetzt«, murmelte ich. »Aber wem auch immer sie sich zuwenden wird, er wird sich benehmen müssen, mit uns beiden als ihren Wächtern.«
Er lachte. »Wenn das nicht die reinste Wahrheit ist, insbesondere in Anbetracht deiner Talente. Aber erzähle mir, falls die Frage nicht zu unverschämt ist: Warum hast du diesen Norwood-Kerl nicht zuerst befragt, bevor sie ihn geheiratet hat – nur um dir sicher zu sein?«
Was für einen wunden Punkt er damit doch getroffen hatte! Ich zuckte regelrecht zusammen. Oliver wollte die Frage zurücknehmen, doch ich winkte ab. »Nein, es ist in Ordnung. Alles, was ich dazu sagen kann, ist, dass es mir zu jener Zeit als eine gottlose Einmischung erschien. Sie war so sehr in ihn verliebt, dass ich zögerte, mich in ihr Glück einzumischen. Wie sich herausstellte, führte mein Zögern dazu, dass sie fast getötet worden wäre. Sei versichert, den gleichen Fehler werde ich nicht noch einmal begehen. Sollte sie sich ernsthaft mit einem anderen Verehrer einlassen, werde ich sehr bald in der Lage sein, darüber zu urteilen, ob er der Richtige ist oder ein Schurke.«
»Dies ist eine gute Idee für eine Beschäftigung.«
»Hmm?«
»Mir kam soeben der Gedanke, du könntest dich, da du aufgrund deines Zustandes nicht als Rechtsanwalt arbeiten kannst, als eine Art Prüfer von Heiratsanträgen betätigen. Die Damen könnten dich aufsuchen, damit du vor der Eheschließung die Wahrheit über ihre Herren aufspürst. Auf diese Weise können sie das Schlimmste über sie herausfinden, bevor es zu spät ist.«
»Die Herren könnten an solchen Diensten ebenfalls interessiert sein«, betonte ich.
»Das ist wahr ... dann sollten wir diese Idee am besten vergessen. Wenn verlobte Paare alles wüssten, was sie erwartet, würde niemand heiraten, und die Menschheit würde aus Mangel an Nachkommen aussterben. Es sei denn, sie täten das, was du getan hast, und würden ein Kind zeugen durch – äh – ah – ich meine – nun, nichts für ungut.«
»Schon gut. Du solltest dich beeilen, Vetter, und dich für das Abendessen herrichten. Du möchtest Elizabeth doch nicht mit den Krähen alleine lassen, nicht wahr?«
»Nein. Aber wenn ich die Wahl hätte, würde ich die Krähen sich selbst überlassen, dann könnten sie sich gegenseitig fressen und wären bald restlos verschwunden.«
»Träumer«, rief ich seinem Rücken zu, als er den Raum verließ, um sich für die Mühen herzurichten, welche nun auf ihn zukamen.
Als ich alleine war und es mir vor dem neu entfachten Feuer bequem gemacht hatte, gab ich einen befriedigten Seufzer von mir. Nun konnte ich endlich für eine Weile meinen eigenen Träumen nachhängen. Nicht den schlimmen, die ich am frühen Morgen eine kurze Zeit durchlitten hatte, sondern den unbeschwerten und fantastischen Träumen, die einem Mann so gute Gefühle bescheren, dass sein Herz überfließt und die Luft um ihn herum dadurch zu summen scheint.
Ich hatte meinen Sohn getroffen, und alles war gut.
Die Angst und die Befürchtungen waren verschwunden. Ich war so erfüllt von Wärme für den Jungen, dass es unmöglich schien, dass ich mir jemals Sorgen gemacht hatte. Welche Probleme mir die Zukunft stellen würde, sie würden sich lösen lassen, daran hatte ich keinen Zweifel.
Natürlich stand mir einiges an Arbeit bevor, aber diese würde leicht zu bewältigen sein. Der Missbilligung der Familie entgegenzutreten, mit dem Skandal bezüglich der Empfängnis des Knaben fertig zu werden, mich mit Edmond auseinander zu setzen, selbst mich mit Clarinda auseinander zu setzen, all dies waren gewiss unangenehme Dinge, aber nicht von übermäßiger Bedeutung, solange ich Zeit mit Richard verbringen konnte. Ich konnte es kaum erwarten, sein Gesicht wieder zu sehen, es erneut aufleuchten zu sehen, mit einem weiteren Lächeln wie – Falls Edmond es überhaupt gestatten würde. Gott, er konnte mir auch
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