Der tanzende Tod
rasierte mit sicherer Hand, aber vor einigen Jahren hatten wir uns beide darauf geeinigt, dass jedes unnötige Reden von meiner Seite sich als gefährliche Ablenkung seiner Konzentration auf die Aufgabe erweisen könne. Für die Dauer der Rasur schwieg ich wie ein Grab.
Er nutzte die Pause als Gelegenheit, mir die Tagesgeschehnisse innerhalb seines eigenen Tätigkeitsbereiches mitzuteilen, indem er berichtete, wer zu Besuch gekommen und worum es dabei gegangen war. Es war eine Einladung für Elizabeth und mich zu einem Essen bei der Familie Bolyn eingetroffen. Sie war so allgemein gehalten, dass sie auch Oliver einbeziehen konnte, sollte er sich entschließen mitzukommen. Er trug offiziell noch Trauer für seine Mutter, und es wurde nicht von ihm erwartet, dass er an gesellschaftlichen Zusammenkünften teilnahm, obgleich für ein Privates, informelles Abendessen eine Ausnahme gemacht werden konnte. In Anbetracht der Beschränkungen, die meine spezielle Diät mir auferlegte, war dies für mich umso besser. Dann wäre Elizabeth zumindest nicht ohne Begleitung, wenn sie die Einladung annähme.
Als Jericho mein Kinn sauber geschabt und mir etwas Präsentables angezogen hatte, wurde ich aus dem allnächtlichen Ritual entlassen und war frei, um anderen zivilisierten Beschäftigungen nachzugehen. Ich musste ihm jedoch versprechen, keinen weiteren wilden Spielen zu frönen, bevor er mich von der Leine ließ. Da Richard sicher in seinem Bettchen schlief, war es nicht schwer für mich, ihm dieses Versprechen zu geben.
Ich fand Elizabeth allein im Salon, sehr behaglich auf dem Sofa in ein Buch vertieft. Das gesamte Teegeschirr war fortgeräumt. Es war jene Zeitspanne, in der die meisten Leute die gemütliche Ruhe ihres Heimes und ihrer Familie genossen, während sie auf die Stunde warteten, zu der das Abendessen eingenommen wurde.
»Hallo, wo ist Oliver?«, fragte ich, während ich meinen Blick müßig durchs Zimmer schweifen ließ.
»Er befindet sich in seinem Sprechzimmer, um einige Dinge aufzuarbeiten, zu denen er während des Tages nicht gekommen ist.« Sie legte das Buch zur Seite, auf einen Stapel abgegriffener Ausgaben des Gentleman 's Magazine.
»Wird er den gesamten Abend beschäftigt sein?« Unser Vetter konnte sich stundenlang in seine medizinischen Studien vertiefen, wenn ihn die Inspiration überkam.
»Ich glaube nicht. Er wollte nur etwas über die Behandlungsweise eines Leidens lesen, welche ihm zu delikat für eine gemischte Gesellschaft erschien.«
Dies klang interessant. »Delikat?«
»Offensichtlich bedeutete es für ihn beträchtliches Unbehagen, auch nur etwas darüber zu lesen, wenn sich eine Frau in demselben Raume befand, sodass er sich entschuldigte. Ich verstehe nicht, worin sein Problem besteht, da es nur um einen Bericht in einer vergangenen Ausgabe eines Magazins über eine neue Methode geht, die Blase anzuschneiden, um die Verhaltung von Urin zu heilen.«
»Pfui! Wirklich, Elizabeth!«
»Oh, mache du nur keine Einwendungen darüber, was sich für eine Dame geziemt oder nicht. Die Seite war aufgeschlagen, und der Artikel konnte klar und deutlich von jedem gelesen werden.« Sie pochte mit den Fingerspitzen auf den Stapel von Publikationen neben ihr.
»Und Blasenoperationen gehören zu der Art von Dingen, die du gerne liest?«
»Kaum, doch mein Blick fiel darauf. Tatsächlich suchte ich nach Neuigkeiten über den Krieg und wurde von dem Bericht abgelenkt.«
»Und wie geht der Krieg voran?«, fragte ich, begierig nach einem Themenwechsel, wobei das Thema selbst keine Rolle spielte. Ich erinnerte mich vage daran, den Blasenartikel selbst gelesen zu haben, und hegte kein Bedürfnis nach einer Auffrischung meiner Erinnerung.
»Es war eine Ausgabe von September, sodass die Neuigkeiten recht veraltet waren. Alles, was sie zu berichten hatten, war das, was wir bereits wussten, als wir Amerika verließen – dies, und ein Bericht darüber, dass die Rebellen am vergangenen vierten Juli in einem Ausbruch von Beten und Fasten schwelgten, der ihrer unklugen Sache helfen sollte. Aber die Dezemberausgabe ist nicht besser. Darin steht kein einziges Wort über General Burgoynes Niederlage.«
Ich warf mich in einen Sessel und legte ein Bein über die Lehne.
»Wahrscheinlich haben sie Angst, dass sich dies als zu entmutigend für die Öffentlichkeit herausstellen würde. Doch dafür ist es zu spät. Ich wette, dass der König und seine Freunde alles Wissen, was es zu wissen gibt, und sie hoffen, dass
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