Der Tempel der Ewigkeit
allmählich reges Treiben. Nach und nach verwandelte sich die ungeheure Baustätte in eine Stadt, deren Herz schon bald zu schlagen beginnen würde. Man träumte bereits von dem erhabenen Augenblick der Einweihung, in dem der Pharao seine Hauptstadt zum Leben erwecken würde. Der unberechenbare Lauf des Schicksals hatte Abner die Gunst gewährt, dem Wunschtraum eines großen Königs zu dienen und die Bekanntschaft von Moses zu machen.
«Wie geht es dir, Abner?»
Sary trug ein libysches Gewand mit breiten, gelben und schwarzen Querstreifen, das in der Taille von einem Gürtel aus grünem Leder zusammengehalten wurde. Sein Gesicht wirkte noch abgezehrter.
«Was willst du von mir?»
«Ich will mich nach deinem Befinden erkundigen.»
«Geh deines Weges.»
«Solltest du unverschämt werden?»
«Weißt du nicht, daß ich befördert wurde? Ich unterstehe nicht mehr deinen Anweisungen.»
«Der kleine Abner plustert sich auf wie ein Gockel! Wer hätte das gedacht… Jetzt verliere nicht die Ruhe.»
«Ich bin in Eile.»
«Was gibt es Dringenderes, als deinen alten Freund Sary zufriedenzustellen?»
Abner vermochte seine Angst nur schlecht zu verhehlen. Das belustigte Sary.
«Der kleine Abner ist doch ein Mann von Vernunft, nicht wahr? Er wünscht sich ein angenehmes, erfreuliches Leben in Pi-Ramses, aber er weiß, daß die angenehmen, erfreulichen Dinge ihren Preis haben. Und diesen Preis bestimme ich.»
«Verschwinde!»
«Du bist nichts weiter als ein Insekt, Hebräer, und Insekten begehren nicht auf, wenn man sie zerdrückt. Ich fordere die Hälfte deines Lohns und deiner Zulagen. Und sobald die Stadt fertig gestellt ist, wirst du dich bereitwillig darum bewerben, bei mir Diener zu werden. Es wird mich entzücken, einen hebräischen Bediensteten zu haben. Bei mir wirst du dich gewiß nicht langweilen. Du hast viel Glück, kleiner Abner. Hätte ich dich nicht bemerkt, wärst du nur ein Ungeziefer.»
«Ich weigere mich, ich…»
«Erzähle keinen Unsinn und gehorche!»
Darauf entfernte sich Sary. Niedergeschlagen sank Abner auf die Knie und setzte sich auf seine Fersen.
Dieses Mal war es zuviel. Er würde mit Moses reden.
VIERUNDFÜNFZIG
NEFERTARI, SCHÖN WIE keine andere, glich jenem Stern am Morgenhimmel, der den Beginn eines glücklichen Jahres verheißt. Ihre Hände liebkosten wie Lotosblüten, und ihr duftendes, wallendes Haar war eine lockende Falle. Wie gut es tat, sich darin zu verfangen!
Sie zu lieben bedeutete, wiedergeboren zu werden.
Sanft streichelte Ramses ihre Füße, dann küßte er ihre Beine und ließ seine Hände über ihren geschmeidigen, von der Sonne vergoldeten Körper gleiten. Sie war der Garten, in dem die seltensten Blumen wuchsen, ein See voll kühlen Wassers, das entfernte Land der Weihrauchbäume. Wenn sie sich vereinigten, schwoll beider Begierde gleich den Fluten des über seine Ufer tretenden Nils und war doch so zärtlich wie Flötenklang beim Sonnenuntergang an einem friedlichen Abend.
Im Schutz einer dichtbelaubten Sykomore gaben sich Nefertari und Ramses einander hin, kaum daß der König zurückgekehrt war. Er hatte Vertraute und Berater abgewimmelt, um mit seiner Gemahlin allein zu sein. Der erfrischende Schatten des großen Baumes mit seinen ins Türkis spielenden Blättern und den eingekerbten, feigenähnlichen Früchten, die so rot waren wie Jaspis, zählte zu den kostbarsten Schätzen des Palastgartens von Theben, in den das Paar sich hatte davonstehlen können.
«Wie unendlich lang diese Reise war…»
«Was macht unsere Tochter?»
«Sowohl Kha als auch Merit-Amun geht es großartig. Dein Sohn findet seine kleine Schwester sehr hübsch und weiß zu schätzen, daß sie nicht oft schreit. Allerdings möchte er sie bereits lesen lehren. Sein Erzieher mußte seinen Eifer schon bremsen.»
Ramses drückte seine Gemahlin an sich.
«Da tut er unrecht… Weshalb sollte man das Feuer löschen, das in einem Menschen lodert?»
Nefertari fand keine Zeit, Einwände zu erheben, denn die Lippen des Königs verschlossen ihr den Mund. Im Nordwind, der durch die Sykomore strich, neigten sich ihre Zweige tief, ebenso ehrerbietig wie verschwörerisch.
Am zehnten Tag des vierten Monats der Überschwemmungszeit im Jahr drei der Herrschaft Ramses’ schritt Bakhen mit einem langen Stab in der Hand dem königlichen Paar voraus, um es durch den nunmehr fertiggestellten Tempel von Luxor zu führen. In Karnak hatte sich ein feierlicher Zug in Bewegung gesetzt und folgte
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