Der Tempel der Ewigkeit
muß ihn wohl anhören.»
Ramses empfing seinen Bruder im Garten, wo der Löwe im Schatten einer Sykomore zu schlafen schien und der Hund an einem Knochen nagte.
«Du bist besser bewacht, als Sethos es jemals war», bemerkte Chenar verwundert. «Es ist beinahe unmöglich, in deine Nähe zu gelangen.»
«Weißt du nicht, daß feindlich gesinnte Griechen versucht haben, in den Palast einzudringen?»
«Doch, das weiß ich, und ich komme, um dir zu sagen, wer die Verschwörung ausgeheckt hat.»
«Wie hast du das erfahren, geliebter Bruder?»
«Menelaos hat auf schändliche Weise versucht, mich für seine Ziele zu gewinnen.»
«Was wollte er von dir?»
«Daß ich mich des Throns bemächtige.»
«Und du hast dich geweigert…»
«Ich liebe zwar die Macht, Ramses, kenne aber meine Grenzen, und ich habe nicht die Absicht, sie zu überschreiten. Du bist der künftige Pharao und kein anderer. Der Wille unseres Vaters muß befolgt werden.»
«Warum hat Menelaos ein solches Wagnis auf sich genommen?»
«Für ihn ist Ägypten ein Kerker. Weil es ihn drängt, mit Helena nach Lakedämon zurückzukehren, hat er den Kopf verloren. Er ist nämlich überzeugt, daß du seine Gemahlin gefangenhältst. Ich hätte dich in die Oasen verbannen, sie befreien und ihm die Abreise gestatten sollen.»
«Helena ist in allem, was sie tut, vollkommen frei.»
«Für einen Griechen ist das unbegreiflich. Seiner Meinung nach muß sie unter dem Einfluß eines Mannes stehen.»
«Ist sein Geist so beschränkt?»
«Menelaos ist starrköpfig und gefährlich. Er benimmt sich eben wie ein griechischer Held.»
«Wozu rätst du mir?»
«Verweise ihn in Anbetracht des unverzeihlichen Fehlers, den er begangen hat, unverzüglich des Landes.»
SIEBEN
DER DICHTER HOMER bewohnte ein sehr geräumiges Haus unweit des Regentenpalastes. Ihm standen ein Koch, ein Gärtner sowie eine für seine Gemächer zuständige Dienerin zur Verfügung, und seinen Keller füllten Krüge mit Wein aus dem Delta, dem er noch Anis und Koriander zusetzte. Nur selten verließ er seinen Garten, in dem ihm ein Zitronenbaum das Kostbarste war, weil er ihn für seine schöpferischen Eingebungen brauchte.
Er rieb sich den Körper mit Olivenöl ein und rauchte gern Salbeiblätter in einer Pfeife, deren Kopf aus einem großen Schneckenhaus bestand. Zumeist lag eine schwarzweiß gescheckte Katze, die er Hektor nannte, auf seinem Schoß, während er Ameni oder einem von ihm entsandten Schreiber die Verse seiner Ilias diktierte.
Der Besuch des Regenten erfreute den Dichter. Sein Koch brachte einen kretischen Krug herbei, der einen so schlanken Hals hatte, daß nur ein dünner Strahl des kühlen, gewürzten Weins herausfloß. In der von vier kleinen Säulen aus Akazienholz und einem Dach aus Palmblättern gebildeten Laube war die Hitze erträglich.
«Dieser heiße Sommer lindert meine Leiden», berichtete Homer, dessen markantes, zerfurchtes Gesicht ein langer weißer Bart schmückte. «Gibt es bei euch auch Gewitter, wie in Griechenland?»
«Bisweilen löst der Gott Seth welche aus», antwortete Ramses. «Sie erregen Furcht und Schrecken, denn der Himmel hüllt sich dabei in dunkle Wolken, aus denen Blitze zucken, der Donner grollt, es regnet in Strömen und eine wahre Sintflut füllt die ausgetrockneten Wasserläufe, daß sie zu Sturzbächen anschwellen, die große Mengen Geröll mit sich reißen. Dann befällt Angst die Herzen der Menschen, und manche fürchten, das ganze Land werde zerstört.»
«Trug Sethos nicht den Namen dieses Gottes?»
«Für mich war das lange ein großes Rätsel. Wie konnte ein Pharao es wagen, den Mörder des Osiris als Schutzgott zu erwählen? Doch irgendwann begriff ich, daß er die Kraft des Seth, diese unergründliche Macht des Himmels, bezwungen hatte und sie nutzte, um Harmonie zu stiften, und nicht Aufruhr.»
«Ein sonderbares Land, dieses Ägypten! Hast du nicht selbst soeben ein Unwetter überstanden?»
«Ist der Widerhall der tragischen Ereignisse bis in diesen Garten gedrungen?»
«Mein Sehvermögen läßt zwar nach, doch mein Gehör ist ausgezeichnet.»
«Dann weißt du also, daß deine Landsleute versucht haben, mich zu ermorden.»
«Erst vorgestern habe ich diese Verse geschrieben: Daß nur nicht, umgarnt vom alles fangenden Netze, ihr den feindlichen Männern zu Raub und Beute dann werdet, die auch bald zerstören die wohlbevölkerte Feste. Dir aber ziemt es, all das Tag und Nacht zu bedenken, daß du die Führer der
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