Der Tempel der vier Winde - 8
einen schmerzhaften Krampf im Unterleib. Sie wußte, wie verzweifelt Richard war. Er hatte auf seinen Schultern mehr als genug zu tragen. Sie mußte stark sein für ihn.
Rechts und links standen majestätische Ahornbäume, deren nacktes, dichtes Astgeflecht sich über ihren Köpfen verflocht. Nicht mehr lange, und sie würden ausschlagen. Sie traten unter dem Tunnel aus Zweigen hervor und traten auf eine gewundene Promenade, die zum Palast hinaufführte.
Hinter ihnen führten Drefan und Nadine im Flüsterton eine Diskussion über Kräuter und Heilmittel, die man ausprobieren müsse. Nadine schlug etwas vor, und Drefan äußerte behutsam seine Meinung, ob dies sinnlos war oder vielleicht einen Versuch wert. Er hielt ihr einen Vortrag über den Verlauf der Krankheit und die Gründe für den Zusammenbruch der körperlichen Abwehrkräfte.
Kahlan gewann den vagen Eindruck, daß er die, die krank wurden, fast mit Verachtung betrachtete, so als sei – weil sie ihrer Aura und den Energieflüssen, von denen er ständig redete, so wenig Beachtung schenkten – nur zu erwarten, daß sie einer Pest erlagen, welche Menschen wie ihm, die sich besser um ihren Körper kümmerten, nichts anhaben konnte. Sie vermutete, daß jemand mit seinem Wissen über das Heilen von Menschen an denen verzweifeln mußte, die ihre Krankheit selbst verschuldeten, wie die Prostituierten und die Männer, die diese aufsuchten. Wenigstens war sie erleichtert, daß er nicht zu ihnen gehörte.
Sie war nicht sicher, ob Drefan mit allem, was er sagte, recht hatte, oder ob einfach Arroganz aus seinen Worten sprach. Sie war selbst schon an Menschen verzweifelt, die sich über Gefahren für ihre Gesundheit lustig machten. In ihrer Jugend kannte sie einen Diplomaten, der jedesmal krank wurde, wenn er schwere Soßen mit bestimmten Gewürzen zu sich nahm. Stets bekam er davon Atembeschwerden. Doch liebte er diese Soßen. Dann, eines Tages, bei einem offiziellen Abendessen, brach er nach dem Genuß einer solchen Soße tot am Tisch zusammen.
Kahlan hatte nie verstehen können, wieso der Mann diese Krankheit selbst vorangetrieben hatte, und es fiel ihr schwer, Mitleid für ihn zu empfinden. Tatsächlich hatte sie ihn stets mit Verachtung betrachtet, wenn er zu einem offiziellen Abendessen gekommen war. Sie fragte sich, ob Drefan über gewisse Menschen ebenso dachte, nur daß er sehr viel genauer wußte, was die Menschen erkranken ließ. Sie hatte gesehen, wie Drefan Caras Aura wiederhergestellt hatte, und sie wußte auch, daß Krankheiten manchmal über den Geist beeinflußt werden konnten.
Sie hatte mehrfach in einem Ort namens Langden haltgemacht, wo ein sehr abergläubischer und rückständiger Menschenschlag lebte. Der Heiler des Dorfes hatte entschieden, daß die Kopfschmerzen, die den Menschen von Langden so sehr zu schaffen machten, nur von bösen Geistern hervorgerufen worden sein konnten, die von ihnen Besitz ergriffen hatten. Er ordnete an, weißglühende Eisen an die Fußsohlen derer zu halten, die Kopfschmerzen hatten, um die bösen Geister auszutreiben. Das Mittel hatte eine erstaunliche Wirkung. Niemand in Langden wurde jemals wieder von Geistern besessen. Die Kopfschmerzen verschwanden.
Wenn nur die Pest ebenso einfach verschwände.
Wenn nur Nadine so einfach verschwände. Wegschicken konnten sie die Frau nicht, jetzt, wo die Menschen unter solcher Not litten.
Ob es ihr gefiel oder nicht, Nadine würde hierbleiben, bis alles vorüber war. Shota schien ihre gierigen Hände fester um Richard zu schließen.
Kahlan wußte nicht, was Richard zu Nadine gesagt hatte, doch konnte sie es sich denken. Nadine legte plötzlich eine übertriebene Höflichkeit an den Tag. Ihre Entschuldigung war dennoch nicht aufrichtig gemeint, soviel war Kahlan klar. Wahrscheinlich hatte Richard ihr gesagt, er werde sie bei lebendigem Leibe häuten, wenn sie nicht um Verzeihung bat. Aus Caras Blick, der häufig zu Nadine hinüberwanderte, schloß Kahlan, daß diese Frau Schlimmeres zu befürchten hatte als Richard.
Kahlan und Richard führten die anderen zwischen den hochaufragenden weißen Säulen zu beiden Seiten des Eingangs und durch die reich mit geometrischen Mustern verzierten Türen in den Palast. Die höhlenartige große Eingangshalle wurde durch Fenster aus blaßblauem Glas zwischen den mit goldenen Kapitellen gekrönten weißen Säulen sowie von Dutzenden von Lampen an den Wänden erhellt.
Eine in Leder gekleidete Gestalt kam ihnen von weitem über die
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