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Der Tempelmord

Der Tempelmord

Titel: Der Tempelmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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»Dieser makedonische Bastard, Alexander, hat uns einen unserer drei Häfen genommen. Die Seefahrt war ihm immer egal. Schiffe sind für ihn nur Transportmittel gewesen.« Der Kapitän streckte die Hand aus und zeigte zur Insel hinüber. »Siehst du dort vorne hinter den Wellenbrechern die Mauer? An ihrem östlichen Ende steht ein Turm, auf dem bei Nacht ein Leuchtfeuer brennt. Neben diesem Turm liegt die Einfahrt in den sidonischen Hafen. Noch weiter im Osten kannst du Palaetyros erkennen. Das ist der Teil von Tyros, der auf dem Festland liegt. Dort gibt es einen zweiten Hafen, der nach Ashtoreth, der Himmelkönigin, benannt ist. Doch den werden wir nicht anlaufen, denn unsere Fracht ist zu kostbar, um in die Lagerhäuser auf dem Festland gebracht zu werden.« Der Kapitän strich sich lächelnd durch den Bart, und Samu war sicher, daß er an den Gewinn dachte, den ihm seine Waren einbringen würde.
    »Und der dritte Hafen?«
    Das Gesicht des Seemanns verfinsterte sich. »Den dritten Hafen hat uns Alexander gestohlen. Er hat eine sechzig Schritt breite Rampe quer durch das Meer bis zur Insel gebaut, um seine Belagerungsmaschinen vor die Mauern der Stadt schieben zu können. Dadurch haben sich die Strömungen in der Bucht verändert. Der ägyptische Hafen, wie er genannt wurde, lag auf der Südseite der Insel und ist heute unter einer dicken Schicht aus Schlick und Sand begraben. Nur kleine Fischerboote können dort noch verkehren.«
    »Und wenn man die Rampe einreißen würde?«
    Der Tyrener schnaubte verächtlich. »Sag das den Handelsherren, die über das Schicksal unserer Stadt bestimmen! Sie sind bequem geworden ... Du weißt, es gibt kein Wasser auf der Insel. Jeder Schluck Wasser, der getrunken wird, jeder Eimer voll, den die Tuchfärber brauchen, um ihr Handwerk auszuüben, wird vom Festland herangebracht. Es macht sehr viel weniger Mühe, das Wasser in Karren über den breiten Damm heranschaffen zu lassen. Man sagt sogar, daß die Römer ein Aquaeduct bauen wollen, das von den Bergen im Hinterland bis nach Tyros reichen soll. Viele Bürger glauben, daß wir endgültig die Gunst des Baal Melkart verlieren werden, wenn sprudelndes Quellwasser auf den Felsen seiner Insel tropft. Der Gott hat nicht gewollt, daß es dort eine Quelle gibt! Er hat auch nicht gewollt, daß wir die Insel mit dem Festland verbinden lassen. Was ist aus dem mächtigen Tyros geworden, seit Alexander den Damm gebaut hat?« Der Kapitän hieb wütend mit der Faust auf die Reling. »Einst waren wir die bedeutendste Hafenstadt der Welt. Unsere Schiffe fuhren bis zu den Säulen des Herakles und weiter noch in das schreckliche Nordmeer, wo schwimmende Inseln auf dem Wasser treiben. Unsere Ahnen haben Karthago gegründet und etliche andere mächtige Handelsstädte. All dies ist dahin, seit wir von Alexander heimgesucht wurden und er unsere Insel ans feste Land gefesselt hat. Wenn die Römer nun auch noch eine Quelle in ihr Aquaeduct umleiten und Wasser nach Tyros bringen, dann wird damit unser Untergang besiegelt sein! Baal Melkart wird seine Stadt verlassen, und schon bald wird es von Tyros nichts als ein paar Ruinen geben, durch die das Wasser sickert, das uns die Römer geschenkt haben. Aber vielleicht ...« Der Seemann blickte Samu an. »Was erzähle ich dir von den Römern und unserer Stadt, Priesterin! Du wirst doch sicher nur kurz zu Gast sein? Kommst du, um im Tempel des Melkart für deinen König zu opfern?«
    »So ist es«, antwortete Samu einsilbig. Da sie nicht wußte, wer in dieser fremden Stadt ihr Feind sein würde, hielt sie es für klüger, die wahren Beweggründe der Reise zu verschweigen.
    »Ich soll auch Nachrichten aus Ägypten für den Pharao einholen. Es gibt einige Kaufleute, die dem Göttlichen als Spione dienen und die mir Bericht über die Herrschaft Berenikes erstatten sollen.«
    Abdoubast lächelte breit und entblößte dabei seine makellosen, weißen Zähne. »Nachrichten? Es gibt wohl kein Geschäft, das die Tyrener Kaufleute nicht betreiben würden. Man sagt, Berenike hat viele Gäste aus den Königreichen im Osten. Sie machten dem römischen Proconsul einigen Ärger. Angeblich bemüht Berenike sich um ein Bündnis mit den Parthern. Mir wäre es nur recht, wenn sie die Römer wieder aus dem Land werfen würden. Wußtest du, daß eine Wölfin die beiden Stammväter des römischen Volkes gesäugt hat? Wie Wölfe verhalten sich die Römer auch heute noch! Sie reißen alles an sich, mischen sich in jedes Geschäft ein

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