Der Teratologe (German Edition)

verstehen. Oh, und ich hasse es, Ihnen dies mitzuteilen, aber …« Michaels lächelte, dann hielt er ein Blatt Papier in die Höhe, das Bryant sofort als Korrekturfahne für einen Artikel identifizierte. »Können Sie das lesen? Oder ist Ihre Sicht nach dem Durcheinander vorhin noch getrübt?«
    »Was ist das?«
    »Ihr Nachruf.«
    Bryants Herz pochte wie wild, während er den Text überflog.
    Redakteure und Verlagsmitarbeiter sind tief betroffen von der Nachricht über den Tod des Finanzjournalisten James Bryant und des Fotografen Richard Westmore – beide galten als Größen auf ihrem jeweiligen Fachgebiet. Bryant und Westmore arbeiteten häufig zusammen, um einige der einflussreichsten Größen des Finanzmarktes für unsere Leser zu porträtieren. Sie kamen beide am Mittwochabend bei einem Autounfall in ihrem Taxi in der Nähe des Flughafens Metro Detroit ums Leben. Unsere Gedanken sind bei ihren Familien. Die Beerdigung wird am –
    Das ist völlig verrückt!, dachte Bryant. »Mein Chef weiß, dass wir hier sind, du Idiot. Ich habe gestern noch mit ihm auf meinem Handy gesprochen – von diesem Haus aus.«
    »Mr. Bryant …« Michaels wedelte mit dem Zettel vor seinen Augen herum. »Das ist eine Druckfahne für die nächste Ausgabe von Blue Chip, das Magazin, für das Sie und Mr. Westmore arbeiten. Wir haben das alles sorgfältig und lange im Voraus geplant. Ich freue mich, Ihnen versichern zu können, dass Ihr Chef sich außerordentlich kooperativ verhalten hat.«
    Bryant war völlig verwirrt und zappelte in seiner Zwangsjacke. »Er hat zugestimmt, einen Nachruf zu veröffentlichen, obwohl er genau weiß, dass wir noch am Leben sind?«
    »Oh ja. In der Vergangenheit galt Wissen als Macht, aber inzwischen regiert Geld die Welt. Und Mr. Farrington hat Ihrem Chef ein außerordentlich großzügiges Angebot unterbreitet, damit er sich auf diese Farce einlässt. Ihre Leichen sind natürlich bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, und weitere Hände wurden geschmiert, um sicherzustellen, dass gefälschte Genanalysen und Autopsieberichte bei den Verantwortlichen landen. Für den Rest der Welt sind Sie tot, Mr. Bryant. Tut mir leid.«
    »Und jetzt? Werden Sie mich jetzt töten? Das ist lächerlich. Sie kennen mich nicht. Ich stelle keine Bedrohung für Sie dar, ebenso wenig wie Westmore!«
    Michaels blickte mit auf dem Rücken verschränkten Händen und unbewegter Miene auf ihn herab. »Nein, nein, wir werden Sie nicht töten. Wir brauchen Sie. Sie werden unser Chronist sein, während Westmore die weitere Entwicklung als Fotograf begleitet.«
    »Chronist für was? Fotograf für was?«
    »Für Mr. Farringtons Leben natürlich. Und seine Arbeit – damit meine ich übrigens nicht seine finanziellen Aktivitäten. Die sind kaum mehr als ein Hobby. Ich rede von seiner tatsächlichen Arbeit; der Arbeit, die er in diesem Haus verrichtet. Sie und Westmore werden es nie wieder verlassen. Sie werden Farringtons Biografie schreiben und seine philosophischen Studien verfassen. Ihrem Kollegen fällt das Anlegen eines Fotoarchivs zu.«
    »Und welchem Zweck dient das Ganze?«
    »Lange nach seinem Tod soll die Welt von Mr. Farringtons Anstrengungen erfahren. Von dem Meilenstein, den er im Bollwerk der Geschichte hinterlassen hat. Sie müssen sich keine Sorgen machen. Es wird für all Ihre Bedürfnisse gesorgt sein …« Michaels drehte sich zur Tür um, als diese mit einem Klicken aufsprang. Weitere menschliche Tragödien wurden zu den Betten hereingekarrt: eine mehr als zwei Meter große Frau mit Akromegalie, siamesische Zwillinge mit zwei Köpfen, eine Contergan-Frau …
    »… das gilt natürlich auch für Ihre sexuellen Bedürfnisse.«
    Würgen und andere seltsame Geräusche waren aus den Betten zu hören. Mehrere Männer wurden in das Zimmer hineingeführt. Jeder von ihnen mit hochrotem Gesicht, unbändiger Energie in den Augen und einer prallen Erektion zwischen den Beinen. Sie wirkten verrückt vor Lust. Eine bessere Bezeichnung wollte Bryant nicht einfallen. Sie kletterten auf die Betten und begannen …
    Oh, Jesus und Maria! Bryant drehte sich der Magen um. Dann schossen seine Augenbrauen in die Höhe, als Michaels hinter ihn trat. Der britische Assistent machte sich an seiner Zwangsjacke zu schaffen.
    »Sie glauben, dass ich mir entweder bezüglich meiner Fähigkeiten zur Selbstverteidigung ausgesprochen sicher bin«, begann Michaels, »oder ausgesprochen blöd. Ich nehme Ihnen jetzt diese Zwangsjacke ab und gestatte Ihnen