Der Teufel in dir: Thriller (German Edition)
seinen kostbaren Mantel zuknöpfte. »Das ist alles relativ. Ich kannte noch nie einen Detective, der Überstunden abgelehnt hat.«
»Roland Hannah besitzt keinen Penny.«
Der Anwalt erwiderte nichts.
»Wer bezahlt Sie?«, fragte Byrne.
Der Anwalt lächelte. »Es gibt zwei Gründe, warum ich diese Frage nicht beantworten werde.«
»Und die wären?«
»Der erste Grund ist, dass es Sie nichts angeht, wer mich für meine Dienste bezahlt, falls ich die Vertretung des Mandanten nicht unentgeltlich übernommen habe.«
»Und der zweite Grund?«
Tolliver öffnete die Tür und drehte sich noch einmal um. »Nachdem Sie den ersten Grund nun kennen, spielt der zweite keine Rolle mehr, oder?«
*
Der Wärter brachte den Detectives den Karton mit den persönlichen Besitztümern des Häftlings. Bis zu Roland Hannahs Entlassung wurden diese Dinge als Eigentum des Commonwealth of Pennsylvania betrachtet. Daher hatte Jessica als Detective des Philadelphia Police Departments das Recht, sich alles anzuschauen.
Hannah hatte diese Dinge bei sich gehabt, als er verhaftet worden war.
Während Byrne telefonierte und die Vorgesetzten über das informierte, was durchgesickert war, unterschrieb Jessica die Erklärung, dass sie den Karton erhalten habe. Dann ging sie damit in einen kleinen Raum neben dem Büro des Gefängnisdirektors. Viel war es nicht: ein schmutziger Kamm, ein paar benutzte Bustickets, eine abgegriffene Brieftasche und ein kleines Holzkruzifix. Jessica klappte die Brieftasche auf. Sie enthielt sechzehn Dollar und eine aus der Bibel herausgerissene Seite. Es war der dreiundzwanzigste Psalm.
In der Mitte der Brieftasche war noch ein Fach. Jessica öffnete es. Dort entdeckte sie ein verblasstes Farbfoto eines schlanken jungen Mädchens von vielleicht zwölf Jahren. Hinter dem Mädchen stand ein großer Lastwagen. Jessica konnte nur ein paar Buchstaben erkennen. Es sah aus wie H OLY und C ARA . Das Mädchen hielt eine Blume in der Hand.
Jessica drehte das Foto um. Auf der Rückseite war etwas mit Hand geschrieben.
LIEBE M AMA ,
ICH HABE SO VIELES GESEHEN . DER O HIO R IVER IST EIN BREITER F LUSS . I CH WEI ß, DASS D ADDY AN SEINER L UNGE GESTORBEN IST , A BER ER HÄTTE MIR NIEMALS WEHGETAN . D AS WEI ß ICH GENAU . J ETZT BIN ICH MIT DEM P REDIGER GLÜCKLICH . I CH BIN VOM G EIST ERFÜLLT UND HOFFE , ES GEHT ALLEN GUT . L IEBE AUF ALLEN W EGEN .
R UBY L ONGSTREET
Ich frage mich, ob sie noch immer die Rose in der Hand hält , hatte Roland Hannah gesagt.
Er meinte das Mädchen auf dem Foto. Ruby. Sie war das rothaarige Mädchen, über das auch Ida-Rae Munson gesprochen hatte. Das Mädchen, das von zu Hause weggelaufen war, um sich dem Prediger anzuschließen.
Einem Prediger namens Roland Hannah.
Sie hatte ein Kind, das vom Teufel besessen war.
43.
Byrne parkte seinen Wagen vor der St. Gedeon Church. Am Gebäude, den Laternenpfählen und der Kette, die das Grundstück absperrt, hingen Plakate, die auf den baldigen Abriss hinwiesen. Die ehemalige Kirche sollte in zwei Tagen abgerissen werden.
Der Gedanke stimmte Byrne unendlich traurig. Die St. Gedeon war die Kirche seiner Kindheit und Jugend. Die Beziehung der Bewohner des Viertels zu ihrer Kirche war so eng, dass die Leute nie von der St. Gedeon Church sprachen, sondern immer nur »die Kirche« sagten. Byrne war in dieser Kirche getauft und gefirmt worden und hatte dort auch seine Erstkommunion empfangen.
Er erinnerte sich noch, dass Pfarrer Leone an den heißesten Augusttagen und den kältesten Februartagen sonntagmorgens auf den Stufen stand und sich von seinen Gemeindemitgliedern verabschiedete. Er sah genau – und merkte es sich –, wer nicht zur Messe gekommen war.
Byrne erinnerte sich auch an den Anruf, den er an jenem Morgen bekommen hatte, als Pfarrer Leone den Jungen im roten Mantel in der letzten Kirchenbank entdeckt hatte.
*
Byrne rannte beinahe auf die Eingangstür der Villa Maria zu. Ein eiskalter Wind fegte über ihn hinweg, und er hatte keine Mütze, keinen Schal und keine Handschuhe mitgenommen.
Als sich die Automatiktür öffnete, roch er sofort den typischen Geruch einer solchen Einrichtung und des Kantinenessens, vermutlich Maissuppe und Apfelmus. Warme, feuchte Luft wehte ihm entgegen. An der Rezeption arbeitete heute eine andere Frau als an dem Tag, als er gemeinsam mit Jessica den Pfarrer besucht hatte. Diese Frau war älter. Sie hatte ein rundes, freundliches Gesicht und leuchtendes, mit Henna gefärbtes Haar. Auf ihrem
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