Der Teufel in dir: Thriller (German Edition)
Jessica in ihren Dienstjahren gelernt, dass man in den ersten Stunden einer Ermittlung nichts ausschließen konnte.
»Und die Tatsache, dass er Polizist war?«, fragte sie. »Könnte der Mord mit seiner Zeit als Streifenpolizist zu tun haben?«
»Möglich«, meinte Byrne. »Könnte gut sein.«
*
Die Palumbos wohnten in einem gepflegten, weiß getünchten, einstöckigen Reihenhaus in der Latona Street zwischen der Achtzehnten und Neunzehnten. Man gelangte durch eine schwarze, schmiedeeiserne Sicherheitstür ins Haus. Rechts daneben befand sich der Briefkasten mit der Adresse. Unter dem Fenster auf der Vorderseite stand ein leerer Blumenkasten, braun gestrichen und teilweise mit blauer Plastikfolie umwickelt. Zwei Kellerfenster waren mit Glasbausteinen verkleidet.
Byrne klingelte. Es dauerte nicht lange, bis die Tür geöffnet wurde.
Die Frau, die vor ihnen stand, hatte feuchte blaue Augen mit schweren Lidern und war Ende fünfzig. Sie trug die hellgrüne Dienstkleidung einer Kellnerin. Auf der linken Seite ihrer Jacke war der Name L ORRIE aufgestickt. Das erschöpfte Gesicht der Frau ließ darauf schließen, dass sie ihr Leben lang hart gearbeitet hatte. Sie hielt ein sorgfältig gebügeltes, rosarotes Geschirrtuch in der Hand.
Jessica und Byrne zeigten ihr ihre Dienstmarken und Dienstausweise.
»Sind Sie Loretta Palumbo?«, fragte Jessica.
»Ja«, sagte die Frau zögernd, als hätte sie diese Frage schon tausendmal beantwortet. Sie blinzelte, als ein kalter Windstoß über sie hinwegfegte.
»Ma’am, ich bin Detective Balzano, und das ist mein Partner Detective Byrne. Wir sind vom Philadelphia Police Department.«
Am Gesichtsausdruck der Frau war abzulesen, dass sie Bescheid wusste. Es war nicht etwa so, als hätte sie gewusst, dass ihr Sohn tot war, oder dass sie die Umstände seines Todes kannte, aber sie wusste es. Ihr Blick ließ erkennen, dass sie schon seit langer Zeit jeden Tag auf diesen Besuch gewartet hatte.
»Sie sind nicht vom Drogendezernat?«, fragte sie.
»Nein, Ma’am«, sagte Byrne. »Dürfen wir reinkommen?«
Die Frau zögerte eine Sekunde, dann trat sie zur Seite. »Verzeihung. Ja, bitte, kommen Sie herein.«
Das Wohnzimmer war sauber und ordentlich. An einer Seite standen ein altes Sofa und ein verschlissener Sessel, die mit Brokatstoff bezogen und von einer durchsichtigen Plastikfolie bedeckt waren. Auf allen Tischen standen funkelnde Kristallaschenbecher. An den Wänden hingen ein halbes Dutzend Darstellungen von Jesus und der Jungfrau Maria. Auf dem Sims über dem gemauerten Kamin stand ein Bild von Danny Palumbo in der blauen Polizeiuniform mit Mütze. Jessica konnte kaum glauben, dass es sich bei dem gut aussehenden Burschen auf dem Foto um denselben Mann handelte, der in dem eisigen Keller verblutet war.
Was war da geschehen?
»Hält sich im Augenblick noch jemand in diesem Haus auf?«, fragte Byrne.
»Nein. Ich bin allein.«
»Haben Sie einen Sohn, der Daniel heißt?«
»Ja. Danny ist mein Sohn.«
»Wann haben Sie ihn das letzte Mal …?«
»Er ist tot, nicht wahr?«
Die Frage schwebte einen Moment in der trockenen Luft des überheizten Zimmers. »Ja, Ma’am«, sagte Byrne. »Es tut mir leid.«
Der Blick der Frau wanderte langsam zwischen Byrne und Jessica hin und her, als hoffte sie, Jessica könnte Byrne widersprechen. Vielleicht wartete sie darauf, dass Jessica ihr sagte, es läge bloß ein Missverständnis vor. Diesen Blick hatte Jessica schon oft gesehen. Doch anders als bei der Diagnose von Krankheiten gab es in der Mordkommission keine zweite Meinung.
»Wir möchten Ihnen unser Beileid aussprechen«, sagte Byrne.
Die Frau durchquerte die Küche, griff in einen Schrank und nahm einen Becher heraus. Es war keine Kaffeetasse, sondern der bunte Plastikbecher eines Kindes. Jessica sah, dass er mit Figuren der Feuersteins bedruckt war. Loretta Palumbo goss nichts in den Becher, keinen Kaffee, kein Wasser und keinen Saft, hielt ihn stattdessen nur fest. Jessica hätte ihrem Partner gerne einen Blick zugeworfen, doch sie hielt sich zurück.
»Was … was ist passiert?«, fragte Mrs. Palumbo. »Waren es die Drogen?«
Am einfachsten wäre es gewesen, hätten sie die Frage bejahen können. Es hätte ihren Job erleichtert, hätten sie es auf Rauschgift schieben können, anstatt auf einen irren Mörder.
»Nein«, sagte Byrne. »Wir vermuten, dass er ermordet wurde.«
Loretta Palumbo stützte sich mit einer Hand auf dem Sofa ab. »Aber … warum?«
»Das wissen wir
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