Der Teufel in dir: Thriller (German Edition)
zum Wandschrank und öffnete die Tür. Er war leer. Auf der Stange hingen nicht einmal Bügel, und in den Fächern herrschte gähnende Leere. Auf der Innenseite der Tür war ein billiger Spiegel angebracht. Einen Augenblick betrachtete Jessica ihr verzerrtes Spiegelbild und dachte an den Tag zurück, als sie den Abschluss an der Polizeiakademie gemacht hatte, und wie stolz ihr Vater gewesen war. Ob Loretta ebenso stolz auf ihren Sohn gewesen ist?, fragte sie sich. Mit Sicherheit. Jessica hoffte es jedenfalls.
Nachdem sie die Schranktür wieder geschlossen hatte, kniete sie sich auf den Boden und spähte unter das Bett und die Kommode. Sicher ist sicher, sagte sie sich. Doch sie entdeckte bloß ein Paar grüne Cord-Pantoffeln. Jessica schaute hinein, fand aber nichts. Sie legte die Pantoffeln wieder so unter das Bett, wie sie sie vorgefunden hatte, genau auf den Abdruck, den der Staub hinterlassen hatte.
Sie stand auf, ging zur Tür und trat auf den Flur. Gerade wollte sie die Tür schließen, als die Decke wie magisch ihren Blick anzog.
Sie sah, dass vor der Tür und dem Fenster Zeichen in Gestalt eines Kreuzes in den Putz gebrannt worden waren.
*
Als Jessica ins Wohnzimmer zurückkam, standen Byrne und Loretta neben der Tür.
»Kennen Sie Freunde von Danny?«, fragte Byrne. »Jemanden, mit dem wir sprechen könnten, um herauszufinden, wo er sich in den letzten Wochen aufgehalten hat?«
Loretta Palumbo dachte nach. Als sie die Frage beantwortete, spiegelte sich Abscheu auf ihrem Gesicht. »Ein paar Mal hat er einen Freund mitgebracht.«
»Erinnern Sie sich an den Namen dieses Freundes?«
»Er war dreckig. Ich mochte ihn nicht«, spie Loretta hervor. »Ich glaube, Danny nannte ihn Boise oder so ähnlich.«
»Boise? Wie die Stadt in Idaho?«, fragte Jessica.
»Ich weiß nicht.«
Jessica machte sich eine Notiz.
»Er war HIV-positiv, wissen Sie«, fügte Loretta hinzu. »Sie haben gesagt, die Krankheit sei vor einem Jahr ausgebrochen, und Boise hätte vielleicht nicht mehr lange zu leben. Dann aber ging es ihm besser.«
Jessica warf Byrne einen Blick zu. Das bedeutete für sie zunächst einmal zweierlei. Erstens ging es um das Motiv. Es bestand die Möglichkeit, dass der Mord aus Hass verübt worden war. Möglich war auch, dass er etwas mit Danny Palumbos Zeit als Streifenpolizist zu tun hatte. Zweitens – und das war viel bedeutsamer – waren Jessica und Byrne mit Danny Palumbos Blut in Berührung gekommen. Sie hatten zwar Handschuhe getragen und sich beide noch am Tatort desinfiziert, sodass sie zu neunundneunzig Prozent auf der sicheren Seite waren, aber Genaues wusste man bekanntlich nie.
»War Ihr Sohn auch HIV-positiv?«, fragte Byrne.
Loretta Palumbo nickte.
»Ich weiß, dass die nächste Frage sehr persönlich ist, aber wir müssen sie dennoch stellen«, sagte Byrne. »War Danny schwul?«
»Nein. Er hat sich angesteckt, weil … nun ja, wissen Sie …«
»Weil er eine gebrauchte Spritze benutzt hat.«
Loretta antwortete nicht, aber das war auch nicht nötig.
»Haben Sie ein Handy, Mrs. Palumbo?«, fragte Byrne.
»Ein Handy?«
»Ja, Ma’am.«
»Nein, ich habe nur den Festanschluss.« Sie zeigte auf das schnurlose Telefon an der Wand in der Nähe der Küchentür.
»Ich habe mein Handy im Wagen vergessen«, sagte Byrne. »Dürfte ich Ihr Telefon benutzen? Es ist ein Ortsgespräch und dauert nicht lange.«
»Kein Problem«, sagte sie. »Bitte.«
Byrne durchquerte das Zimmer, nahm den Hörer ab und wählte eine Nummer. Nach ein paar Sekunden legte er wieder auf. »Es meldet sich niemand.«
Als er seinen Mantel zuknöpfte und sich zum Gehen wandte, wies er auf die gerahmten Darstellungen von Christus an den Wänden. »Wie ich sehe, sind Sie eine fromme Frau.«
Loretta Palumbo reckte die Schultern. »Der Herr ist mein Heil.«
»War Danny ebenfalls gläubig?«
»Ja. Er wurde getauft und gefirmt. Und er ging zum Katechismusunterricht.«
»Hat er die Erstkommunion empfangen?«
»Ja.« Loretta ging zu einem der Beistelltische, auf dem ein Dutzend gerahmter Fotos stand, und hielt eines davon hoch. Der vielleicht achtjährige Daniel Palumbo posierte auf dem Bild in einem langärmeligen Hemd und mit einer schmalen weißen Krawatte für einen Fotografen. »Er war ein sehr frommer Junge.«
»Wissen Sie, ob er ein kleines weißes Gebetsbuch besaß?«
»Ein Gebetsbuch?«
»Ja, Ma’am. Ein kleines Buch, das ›mein Messbuch‹ heißt.«
Sie hatten überlegt, ob sie Loretta das Foto zeigen
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