Der Teufel in dir: Thriller (German Edition)
sollten, das sie am Tatort von dem Buch gemacht hatten. Da es allerdings blutverschmiert war, hielten sie es für keine gute Idee.
»Ich weiß nicht«, erwiderte Loretta. »Als er klein war, las er ständig in der Bibel. Wie es in letzter Zeit war, weiß ich nicht.«
Byrne zog ein kleines Kästchen mit Visitenkarten aus der Tasche und nahm eine heraus. »Ma’am, ich möchte Ihnen noch einmal im Namen der Stadt Philadelphia unser Mitgefühl aussprechen. Es könnte sein, dass wir Ihnen noch weitere Fragen stellen müssen.« Er reichte ihr die Visitenkarte. »Ein Familienangehöriger muss den Leichnam identifizieren.«
Loretta nickte. »Es gibt nur mich. Weitere Verwandte haben wir nicht.«
Byrne nahm ihre Hand und hielt sie einen Moment fest. »Ich gebe Ihnen Bescheid, wenn wir Sie brauchen, und holen Sie ab. Sie werden nicht alleine sein. Ich versichere Ihnen, dass das gesamte Police Department Ihre Trauer teilt. Danny war einer von uns, und das wird er immer bleiben.«
Loretta trat vor und umarmte Byrne. Jessica hatte den Eindruck, dass so etwas sonst gar nicht die Art dieser Frau war. Nun aber, da ihr Ehemann und ihr Sohn tot waren, war es die vielleicht letzte Gelegenheit, jemanden zu umarmen.
Offenbar spürte Byrne es ebenfalls. Er legte seine großen Hände behutsam auf Lorettas Rücken und wartete, bis sie sich aus der Umarmung löste.
Dann straffte er die Schultern und schaute ihr in die Augen. »Rufen Sie mich an, wenn Sie etwas brauchen. Egal, was es ist.«
»Gott segne Sie«, sagte Loretta.
»Danke, Ma’am. Danke.«
*
Schweigend gingen sie zum Wagen zurück. An diesem Wintertag war es bitterkalt, aber wenigstens hatte der Wind nachgelassen. Als sie auf dem Bürgersteig standen und warteten, bis die Straße frei war, durchbrach die Sonne die Wolken und tauchte alles in mattes Licht.
»Es war sein Kinderbecher, den Loretta aus dem Schrank geholt hat, nicht wahr?«, fragte Jessica.
Byrne nickte. »Ja, vermutlich.«
»Er war dreiundzwanzig Jahre alt, und sie bewahrt noch immer den Becher von dem sabbernden Baby auf. Sein Becher mit den Feuersteins. Das war das Erste, woran sie gedacht hat.«
»Ja.«
»Mein Gott, Kevin.«
Die Straße war frei. Sie überquerten sie trotzdem nicht. Keiner von beiden wollte in diesem Augenblick in den Dienstwagen steigen.
»Als ich zur Mordkommission kam, glaubte ich, es würde mit der Zeit einfacher, Angehörigen die Todesnachricht zu überbringen«, sagte Jessica. »Aber so ist es nicht.«
»Ich weiß. Jedes Mal gibt man etwas von sich her.«
»Und bekommt es nicht zurück.«
»Stimmt«, sagte Byrne.
Jessica erinnerte sich an den Tag, als ihre Mutter starb und sie vom Krankenhaus nach Hause kamen. Sie war damals erst fünf Jahre alt gewesen, doch sie erinnerte sich so deutlich, als wäre es gestern geschehen. Sie wusste noch, dass sie mit ihrem Vater und ihrem Bruder in dem kleinen Wohnzimmer ihres Reihenhauses in der Catharine Street saß, und niemand sagte ein Wort. Die Post kam, Nachbarn brachten Essen vorbei, Autos fuhren am Haus vorüber. Ansonsten hörte man nur, wenn der Ofen ansprang. Jessica erinnerte sich, dass sie dankbar war für das Geräusch – für jedes Geräusch, das die schreckliche Stille der Trauer störte.
Wenn Jessica ihren Vater besuchte, der noch immer in dem Haus mit denselben Sofas, Tischen und Sesseln wohnte, in dem Jessica aufgewachsen war, kehrte diese Stille mitunter zurück. Und mit der Stille kamen die Erinnerung an die Wunde in ihrem Herzen, die nichts und niemand heilen konnte, egal, wie lange sie leben würde.
Loretta Palumbo stand am Beginn dieses schweren Weges.
*
Als sie in den Wagen stiegen, erzählte Jessica ihrem Partner, was sie in Danny Palumbos Zimmer entdeckt hatte.
»Die Kreuze waren eingebrannt? «, fragte Byrne.
»Ja. Als hätte jemand sie mit einem Lötkolben in den Putz gebrannt.«
»Und sie waren nur vor der Tür und vor dem Fenster? Nicht in der Mitte des Zimmers? Nicht auf dem Boden oder an den Möbeln? Nirgendwo sonst?«
»Nur an der Decke«, sagte Jessica. »Über der Tür und über dem Fenster. Als hätte Danny versucht, jemanden davon abzuhalten, sein Zimmer zu betreten.«
»Oder es zu verlassen.«
Stimmt, dachte Jessica. Oder es zu verlassen.
Byrne warf noch einen Blick auf Mrs. Palumbos Haus. »Meinst du, es war Loretta Palumbo, die dich heute Morgen angerufen hat?«
»Ich weiß es nicht.«
Byrne nahm sein Handy, das er stumm geschaltet hatte, aus der Tasche und schaltete den Klingelton
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