Der Teufel in dir: Thriller (German Edition)
wenn ich mich noch so sehr anstrenge …« Byrne griff in die Tasche und zog einen Schlüssel heraus. »Hier.«
Jessica nahm den Schlüssel entgegen. »Was ist das?«
»Das ist mein Wohnungsschlüssel. Colleen ist die Einzige, die einen Schlüssel hat, und sie wohnt nicht mehr in dieser Stadt. Ich möchte, dass du ihn nimmst.«
Jessica war gerührt und hoffte, dass Byrne es nicht bemerkte. »Okay. Ich verspreche dir, dass ich ihn nicht in irgendeinem Gangsterviertel verliere.«
»Das wäre nicht schlecht.«
Jessica steckte den Schlüssel an den Schlüsselring, der an ihrem Mantel hing, öffnete die Tür und drehte sich noch einmal zu Byrne um. »Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?«
»Mir geht’s gut. Ganz ausgezeichnet.«
»Okay«, sagte Jessica. »Ich wusste noch gar nicht, dass die Iren so zu Übertreibungen neigen.«
Byrne lächelte, doch es war ein trauriges Lächeln.
»Ruf mich an, wenn du mich brauchst«, sagte Jessica.
Byrne erwiderte nichts. Jessica hatte auch nicht damit gerechnet.
Als sie auf den Hausflur trat, drehte sie sich noch einmal um. Byrne stand mit dem alten Foto in der Hand am Fenster und schaute auf die stille, schneebedeckte Straße.
21.
Der alte Mann steht hinten im Festsaal. In dem großen, rechteckigen Raum, der mit bunten Fahnen und Wimpeln geschmückt ist, sind insgesamt achtzig Klappstühle in Reihen hintereinander angeordnet. Ein paar Stufen führen zu einer kleinen Bühne hinauf. Heute singt hier ein Kinderchor Lieder, um den Frühling zu begrüßen, der erst in einem Monat beginnt.
Unter den Zuhörern sitzen viele stolze Eltern und Großeltern mit Videokameras in den Händen. Auf der Bühne singen etwa dreißig Erst- und Zweitklässler: »If You’re Happy und You Know It.«
Sie betrachtet den Mann von der anderen Seite des Saales – seine Augen, seine Hände, seine gebeugten Schultern. Er sieht aus wie ein freundlicher Onkel, aber sie weiß es besser. Sie weiß, was er ist.
Als die Kinder verstummen, geht sie durch den Saal und stellt sich neben ihn. Er bemerkt sie nicht.
»Hallo«, sagt sie.
Der Mann zuckt zusammen und dreht sich zu ihr um. Er mustert sie schnell mit seinen winzigen Raubtieraugen und versucht herauszufinden, ob sie eine Bedrohung darstellt. Er entdeckt keine und setzt ein Lächeln auf. »Hallo.«
Sie zeigt auf die Bühne. »In diesem Alter sind sie wundervolle Wesen, nicht wahr?«
Der alte Mann lächelt wieder. »Das sind sie.« Er betrachtet sie genauer, und diesmal ist er sich nicht mehr ganz sicher, dass er sie nicht kennt. »Kennen wir uns?«
Diese Frage stellen sie immer. Sie schüttelt den Kopf. »Wo Sie waren, kann ich nicht hingehen.«
Der Mann wirft ihr einen fragenden Blick zu. Ehe er antworten kann, fährt sie fort: »Ist eines der Kinder Ihr Enkelkind?«
Das Zögern des Mannes sagt alles. »Nein. Ich bin nur hergekommen, um sie anzuschauen. Es gibt mir das Gefühl, wieder jung zu sein.«
»Sie tun mehr, als die Kinder nur zu beobachten, nicht wahr?«
Der Mann schließt langsam die Augen. Als er sie kurz darauf wieder öffnet und die Frau anschaut, weiß er es.
Sie schweigen eine Weile. Das fröhliche Singen der Kinder bildet den Hintergrund ihres Gesprächs, auf das der Mann seit Jahren voller Furcht gewartet hat.
»Ich wusste, dass dieser Tag kommt«, sagt er. »Es gibt ihn wirklich.«
»Ja, es gibt ihn«, sagt sie. »Haben Sie daran gezweifelt?«
»Man lebt in Hoffnung. Seitdem ich ein Kind war, habe ich an ihn geglaubt und gewusst, dass er mit mir geht.«
Sie zeigt aus dem Fenster auf die alte Kirche auf der anderen Straßenseite. »Er wartet auf Sie.«
»In der Kirche?«
»Ja. Es ist Zeit.«
Der Mann wirft noch einen Blick auf die Bühne. Er weiß, dass es das letzte Mal ist. »Ich bin bereit«, sagt er.
»Es wird keine weiteren Verhandlungen geben.«
Der Mann schaut ihr ins Gesicht. »Gibt es keine andere Möglichkeit?«
Der Pädophile kennt die Antwort auf diese Frage. Es besteht kein Grund, sie zu beantworten.
Ein paar Minuten später verlassen sie den Festsaal, überqueren die Straße und biegen in die Gasse neben der Kirche ein. Die Tür ist bereits für sie geöffnet. Sie treten ein und steigen die Stufen in den Keller hinunter.
»Ich spüre seine Gegenwart«, sagt der Mann.
Sie zeigt auf einen kleinen Raum, genau unterhalb der Sakristei. »Ziehen Sie sich aus.«
Der Mann hebt den Blick. Seine Augen sind nun nicht mehr die eines Raubtieres, sondern die einer Beute, die in die Enge getrieben
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