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Der Teufel in Frankreich

Der Teufel in Frankreich

Titel: Der Teufel in Frankreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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offenen Stadt erklärt worden, also zweifellos nicht zu halten. Die Nazis standen siebzig Meilen von Paris entfernt, nein achtzig, nein achtundvierzig. Unsere wackeren Wachsoldaten mußten plötzlich exerzieren. Sie rückten aus in Viererreihen, bewaffnet. Maschinengewehre wurden rings um unser Lager in Stellung gebracht. Alles machte bittere Witze darüber. Unsere Wachsoldaten erklärten grimmig, sie gingen, wenn die Italiener kämen, nach Hause.
    Sie konnten nach Hause gehen, aber was sollte aus uns werden? Vom Norden kamen die Deutschen, vom Osten die Italiener, und wir waren eingesperrt, hilflos. Selbst wenn es uns gelang auszubrechen, dann waren wir in einem Land von Feinden, hin und her getrieben zwischen den Armeen noch schlimmerer Feinde.
    Finster spaßhafte Berechnungen stellten wir an, wie hoch wohl unsere Chancen seien, mit heiler Haut aus dieser bösen Falle herauszukommen. Wir zogen in Betracht die Kriegsnachrichten, die psychologische Situation der Bevölkerung, unsre eigenen physischen und technischen Fähigkeiten. Wir kamen zu dem Schluß: heute sind die Chancen tödlichen Ausgangs sechzig Prozent, die Chancen der Rettung vierzig. Nein, das ist zu optimistisch, die Chancen der Rettung betragen nur mehr dreißig Prozent. Übrigens ist das wohl individuell verschieden. Wer sich öffentlich gegen die Nazis betätigt hat, wer von ihren Funktionären, in ihren Zeitungen angegriffen, von ihren Gerichten verurteilt worden ist, hat natürlich noch weniger Chancen, heil aus der Lage herauszukommen.
    Das Zeitungsgeschäft blühte. In allen Winkeln standen Leute, studierten die spärlichen, teuern, zerlesenen Zeitungen, zahlten ihren Franken und gingen zu einer andern Gruppe, wo einer aus einer andern Zeitung vorlas. Dann schlenderte ein Offizier vorbei, die Zeitungen verschwanden, kamen hinter seinem Rücken sogleich wieder zum Vorschein.
    Auch die Nazis unter uns forderten und erhielten Geld für die Weitergabe der Nachrichten aus ihrem Radio.

    Italien erklärte den Krieg. Die Deutschen überschritten die Seine. Das Land Frankreich löste sich auf.
    In unserer Ziegelei trafen jeden Tag neue Transporte ein. Zum größeren Teil waren es Leute, die in nördlichen Lagern interniert gewesen waren und die man jetzt herunter nach dem Süden brachte. Allein, es waren nicht nur Internierte, die da zu uns kamen, es waren auch Transporte flüchtiger Holländer, Luxemburger, Belgier. Auf den Höfen hockten sie herum, todmüde. Dann wurden sie zum Essen geführt, ihr Gepäck lag zerstreut im Staub und in der Sonne, ärmliches Gepäck, letzte Habe.
    Eigentlich war es uns verboten, mit den Neuankömmlingen zu sprechen. Aber die Disziplin war niemals streng gewesen in unserm Lager, jetzt war sie es schon gar nicht, wir scherten uns nicht um das Verbot.
    Die Berichte der Neuen klangen scheußlich. Die Insassen belgischer Konzentrationslager erzählten, wie sie in plombierten Wagen durch Frankreich transpor- tiert worden waren. Niemand hatte sich um diese Züge gekümmert, niemand den Insassen Nahrung oder Wasser gegeben. Die belgischen Wachsoldaten hatten sie ausgeraubt, manche der Transportierten waren an Entkräftung in den Wagen gestorben, die andern zusammen mit den Leichen weitergefahren. Alle erzählten, daß sich auch Millionen von Nordfranzosen flüchtend dem Süden zuwälzten. Die Schienenwege, die Landstraßen seien verstopft. Man kämpfe um die Transportmittel. Nichts sei organisiert.
    Die Transporte der Holländer, Luxemburger, Belgier blieben gewöhnlich nur kurze Zeit bei uns, die Insassen der nördlichen Konzentrationslager länger. Von ihnen hörten wir abenteuerliche Berichte, wie sie, erst im letzten Augenblick abtransportiert, qualvolle Strapazen zu überstehen gehabt hätten, endlose Fahrten, zusammengepfercht in Frachtwagen, aufrecht stehend in Lastautos, tagelang, nächtelang, hungrig, durstig in Staub und Sonne.
    Auch bei uns hatten sie es nicht gut. Sie wurden einquartiert im zweiten Stockwerk der Ziegelei, das für die Unterbringung von Menschen noch weniger geeignet war als das erste. Dieser zweite Stock war ausgefüllt von Lattenwerk, das zur Aufnahme der Ziegel bestimmt war; es gab keinen freien Raum. Die neuen Ankömmlinge mußten sich behelfen, wie es eben ging. Stroh gab es spärlich, sie schliefen auf den Brettern des Fußbodens, eingezwängt vom Lattenwerk. Diese Bretter des Fußbodens waren schlecht gefügt, sie ließen breite Spalten offen, auch liefen vom Erdgeschoß zum zweiten Stockwerk

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