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Der Teufel in Frankreich

Der Teufel in Frankreich

Titel: Der Teufel in Frankreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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verbringen.
    Auch den Plan des Ausbruchs hatten meine Österreicher bereits bis ins Detail ausgearbeitet. Da war eine Art Kanalrohr, das unter der Böschung ins Freie führte. Wirklich unangenehm, meinten sie, sei der Weg nur durch einige Meter. Da müsse man freilich sehr eng durch Schlamm und Kot durchkriechen und bekomme die Nase voll. Doch mit ihrer Hilfe würde ich es bestimmt schaffen. Sie standen da, jung, kräftig, zuversichtlich, Vertrauen einflößend. Mir war trotzdem nicht sehr wohl, weder bei dem Gedanken an die paar Wochen bei dem Bauern noch bei dem Gedanken an die paar Meter Kanalrohr.
    Wahrscheinlich hätten sich die Wachen bestechen lassen, und man hätte auf bequemere Art fliehen können. Aber es hatte keinen Sinn, allein und auf eigene Faust zu fliehen. Ohne die tatkräftige Hilfe der französischen Behörden hatte man keine Aussicht, den vorrückenden Nazis zu entkommen.
    An diesem Abend dauerte es lange, ehe uns die Wachen durch freundliches Zureden und durch sanfte Gewalt in das Gebäude zurücktreiben konnten. Im Gebäude selber wurde es dann nicht ruhig.
    Nachdem das letzte Signal geblasen und das Licht ausgelöscht war, versammelte sich das halbe Lager in den Katakomben. Man tauschte seine Sorgen aus, die letzten Gerüchte. Zwei der Offiziere erschienen unter uns. Wiewohl es natürlich verboten war, so in der Nacht in den Katakomben herumzustehen, schickten sie uns nicht zurück auf unser Stroh, sondern ließen sich mit uns in Gespräche ein, versicherten, man verstehe genau unsere Situation, versuchten, uns zu beruhigen. Doch man merkte deutlich, daß ihnen selber nicht recht geheuer war.
    Die ganze Nacht summte und wisperte und debattierte es in den Katakomben. Wieder und wieder brach die Erbitterung durch gegen die Langsamkeit und Leichtfertigkeit der Franzosen. Die begriffen immer noch nicht, wie schnell die Nazis waren. Wir aber wußten es, wir wußten, daß sie schon morgen nacht hier sein konnten.
    Einer von den Österreichern, ein Journalist, malte mit selbstquälerischer Wollust aus, was sich dann ereignen werde. Die deutschen Offiziere würden sich zu den französischen höflich und korrekt verhalten. Sie würden sich das Lager übergeben lassen, es in aller Form übernehmen. Auch uns würden sie zunächst nichts anhaben. Sie würden nur die Listen der Insassen verlangen, einen Appell abhalten und nachprüfen, ob wir alle da seien. Selbst bei Namen, die ihnen so willkommen sein müßten wie etwa der meine, würden sie sich nicht lange aufhalten; es werde höchstens, wenn der Name verlesen würde, ein kleines bedeutsames Grinsen über ihre Gesichter gehen, dann werde der nächste Name verlesen werden.
    Von den ernstlich Bedrohten zweifelte keiner daran, daß man, wenn wirklich die Nazis Les Milles besetzten, am besten tue, Schluß zu machen, sich umzubringen. Doch wie sollte man das anstellen? Stricke waren schwer zu beschaffen. Und selbst wenn man sich einen beschaffen könnte, wo sollte man ihn anbringen? Wo gab es einen Platz, das ungehindert zu tun? Man redete auf den österreichischen Hoffriseur ein, den bewährten Schmuggler, er möge einem Gift verschaffen. Er lehnte ab. »Andere«, meinte er, »werden es Ihnen versprechen. Sie werden Ihnen auch das Geld abnehmen und Ihnen irgendein weißes Pulver zustecken. Aber wenn Sie es dann versuchen, wird es nichts nützen, sondern Schwindel sein, Zahnpulver. Ich bin ein anständiger Mensch. Ich verspreche nichts, was ich nicht halten kann.«
    Nur wenige konnten schlafen in dieser Nacht.

    Am nächsten Morgen erhielten die Gruppenführer aber wirklich Weisung, Listen derjenigen aufzustellen, die abtransportiert werden wollten. Ja, diese Listen mußten schon bis zwei Uhr nachmittag im Büro abgeliefert sein. Diese Eile war ein gutes Zeichen und machte uns zuversichtlich.
    Es stellte sich schnell heraus, daß die Anfertigung der Listen gar nicht so einfach war. Viele konnten sich nicht darüber schlüssig werden, was sie tun sollten, bleiben oder gehen. Nicht etwa, als ob unter uns viele Nazis gewesen wären. Aber da waren Alte und Kranke, die erklärten, sie hielten die Strapazen einer solchen Fahrt nicht aus, und was immer sich ereignen werde, sie zögen es vor zu bleiben und der Dinge zu warten, die da kommen würden. Dann waren da eine Reihe von armen Teufeln, die sich niemals politisch betätigt hatten, die niemals etwas anderes erstrebt hatten, als ihr Leben zu retten und die kümmerliche Existenz, die sie sich und ihrer Familie

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