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Der Teufel in Frankreich

Der Teufel in Frankreich

Titel: Der Teufel in Frankreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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zusammengenommen, lassen mich glauben, daß die Grundlinie meines Schicksals die oben beschriebene ist: daß ich nämlich Glück habe in den Dingen, auf die es ankommt, und Unglück nur im Unwesentlichen.
    Ich weiß, daß das eine atavistische, fetischistische Vorstellung ist, verwandt dem Glauben jener, die da annehmen, sie seien in der besonderen Hut Gottes oder irgendeines Heiligen. Aber sie lebt nun einmal in mir, diese abergläubische Vorstellung, und ich bin eigentlich ganz zufrieden, daß dem so ist.
    Bestärkt in dieser meiner Vorstellung werde ich durch einen zweiten Aberglauben, der merkwürdig gemischt ist aus Pedanterie und Hochmut.
    Ich habe nämlich noch einige Bücher zu schreiben. Genauer gesagt, ich habe aus den paar Büchern, die mir vorschweben, einige auserlesen, um sie auszuführen, was immer kommen möge. Es sind vierzehn Bücher, die ich so in meinem Innern trage, vierzehn Bücher, die ich noch schreiben muß, weil ich annehme, daß nur ich sie schreiben kann, und weil ich glaube, daß sie höchst wichtig sind; doch meine Eigenliebe gebietet mir anzunehmen, sie seien wichtig auch für die Welt. Und ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß mir irgend etwas Ernsthaftes sollte zustoßen oder daß ich gar sollte umkommen können, ehe ich diese vierzehn Bücher geschrieben habe. Gott oder das Schicksal kann das nicht zulassen.
    Dieses Gefühl, daß mir am Ende nichts Ernsthaftes passieren könne, war wohl die Ursache jenen Gleichmuts, den die andern an mir bestaunten, und wenn ich in jener bösen Nacht weniger von Angst gepeinigt wurde als die andern, so war es die gleiche Vorstellung, die mich aufrecht erhielt.
    Nun habe ich bereits erzählt, daß meine Sicherheit natürlich nicht die ganze Nacht hindurch ungetrübt vorhielt.
    Ich erinnere mich dieser Nacht sehr genau, ich erinnere mich vieler Einzelheiten. Da lag ich im Stroh, hörte, spürte die Nähe der andern, dachte vielerlei, fühlte vielerlei. Mein besorgter Verstand warnte mich vor Leichtfertigkeit, stellte sachlich alles zusammen, was Anlaß sein mochte zu höchster Furcht. Die Nazis waren wirklich verdammt nahe. Und selbst, wenn der Zug kommen, wenn wir abtransportiert werden sollten, auch dann war der Tag, da ganz Frankreich in der Hand der Nazis sein würde, nur hinausgeschoben. Und wo werden wir an jenem Tage sein? Werden wir wirklich jenseits der Grenze sein? Das war mehr als unwahrscheinlich.
    Um mich aufzurichten, dachte ich wieder an die vierzehn Bücher, die ich noch schreiben wollte, die ich noch schreiben werde. Aber da wurde diese hoffnungsstärkende Vorstellung gestört durch eine andere, nicht minder abergläubische. Einige Zahlenmystiker in Deutschland nämlich hatten errechnet, daß die Zahl neun für deutsche Künstler verhängnisvoll sei. Beethoven, Brahms, Mahler hatten je neun Symphonien geschrieben, Wagner neun lebensfähige Opern, Schiller, Hebbel, Grillparzer je neun bühnenfähige Dramen, ganz kluge Leute haben ausgerechnet, daß auch von Goethes Werken nur neun wirklich lebendig seien, so also, daß er gewissermaßen nicht an seinen zweiundachtzig Jahren, sondern vor allem an der Vollendung des »Faust« gestorben sei. Nun hatte ich mit dem dritten Teil des Josephus gerade neun lebensfähige Werke vollendet, und das machte mich ängstlich.
    So spielte ich auf trüb skurrile Weise mit der Idee meines Ablebens. Ich zog Bilanz. Suchte festzustellen, was ich gehabt hatte und was mir versagt geblieben war. War mein Leben ein erfülltes Leben gewesen? War es weise oder war es töricht gewesen, glücklich oder elend? War es lebenswert gewesen?
    Ich kam zu dem Schluß, daß eigentlich meine sechsundfünfzig Jahre gute, volle, reiche Jahre gewesen seien. Ich hätte das Böse, das sie gebracht hatten, so wenig missen mögen wie das Gute; denn beides, Gutes und Böses, hatten mich reicher gemacht, und ohne den Hintergrund des Bösen hätte ich das Gute nicht werten und genießen können. »Willkommen Gut und Bös«, hat ein deutscher Dichter gedichtet, und als Knabe hatte ich in mir gewälzt einen Spruch des Talmud, der vom Bösen sagt: »Gam su letovo« (Auch das zum Guten).
    Mit einer gewissen hartnäckigen Pedanterie untersuchte ich, ob ich unter den Plänen, die mich mein Leben über beschäftigt hatten, wirklich die rechten ausgeführt hatte, ob ich nicht vielleicht von den Büchern, die mir im Sinn lagen, besser dies oder jenes geschrieben hätte statt eines wirklich geschriebenen, und ob die Zeit, die ich an Frauen

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