Der Teufel in Frankreich
abgekürzte Sätze und Wendungen. Er ging stets herum in einem leichten Dunst von Alkohol, und wann immer er einen traf, bot er einem einen Schnaps an oder sonst ein Getränk, stieß mit einem an, den Arm scharf eckig gehalten, einem eindringlich ins Auge blickend und darauf rechnend, daß man sich revanchiere. Manchmal packte ihn der Cafard, dann sagte er wohl: »Kommen Sie mir heute nicht nahe, ich habe einen Cafard.« Im allgemeinen aber trug er eine heitere, wohltemperierte Verzweiflung zur Schau, eine gewisse Erhabenheit über die Lage. Einmal vertraute er mir an, daß er Zyankali in der Tasche seines Tennisanzuges habe; es sei gutes Zyankali, ein französischer Fachkollege habe es ihm besorgt.
Viele, in der Breughel-Hölle unseres Lagers, hätten viel dafür gegeben, Gift in der Tasche zu haben.
Denn immer größer inmitten des bunten Jahrmarktlärms wurde die Verzweiflung. Was an einem fraß, war nicht nur die höchst gegenständliche Gefahr der Auslieferungsklausel, sondern auch die erzwungene Untätigkeit, die augenscheinliche Sinnlosigkeit unseres Aufenthalts in diesem Lager. Man ging herum und schwatzte, immer das gleiche, und wartete darauf, daß man erkranke und daß man den Nazis ausgeliefert werde.
Das war erträglich ein paar Tage lang, eine Woche lang, einen Monat lang. Aber auf die Dauer und ganz unversehrt ertrug es keiner. Immer wieder traf man einen, der mit finsterm Gesicht herumging und heftig abwinkte, wenn man ihn fragte, was ihm fehle, immer wieder einen, der still vor sich hin flennte, immer wieder einen, der laut heulte.
In noch anderen, seltsameren Formen äußerte sich der Cafard. Einmal, in tiefster, stockdunkler Nacht, als ich irgendwo in der Nähe des Lagers hockte, meine Notdurft zu verrichten, hörte ich aus der Dunkelheit eine Stimme, monoton, besinnlich und gleichwohl verbissen: »Und zu denken, daß meine Voreltern seit 1400 in Rothenburg ob der Tauber saßen.« Die Stimme äußerte nicht mehr, ihr Besitzer rechnete bestimmt nicht damit, daß jemand ihn höre, ich habe auch nie erfahren, wem diese Stimme zugehörte.
Es war Sommer und um die Höhe des Tages gewöhnlich sehr heiß. Am Morgen aber und am späten Nachmittag war es angenehm, Spaziergänge in der lieblichen Gegend zu machen.
Ich ging viel spazieren, manchmal in Gesellschaft des Schriftstellers R., manchmal mit Herrn Wolf, der einen behaglichen Schritt liebte und ein behagliches Gespräch, manchmal auch mit Herrn Cohn, dem man nie schnell genug gehen konnte. Herr Cohn kannte bald alle Bauern der Umgebung, er führte mit ihnen joviale Gespräche, sie luden einen, wenn man mit ihm kam, zum Wein ein, und gewöhnlich brachte man von solchen Spaziergängen Eier, Butter oder auch ein Huhn mit nach Hause, zu billigen Preisen erstanden.
Es war natürlich verboten spazierenzugehen, und man mußte beim Überqueren der Landstraße vorsichtig sein, um sich nicht von einer Gendarmeriepatrouille erwischen zu lassen. Es war ein bißchen unwürdig, wie man sich da im Straßengraben duckte, dann vorsichtig den Kopf hinausstreckte, dann über die Straße lief und durch irgendeinen Zaun kroch oder ihn überkletterte, in unziemlicher Eile und von einem gelegentlich vorüberfahrenden Automobilisten mit Mißtrauen betrachtet. Aber die Spaziergänge lohnten die Entwürdigung. Die Gegend war anmutig und bot von jedem Punkt aus einen andern Aspekt. Es gab alte Bauernhäuser, bewohnte und unbewohnte, es gab Buschland und weite Hochflächen, blaue, schön geschwungene Berge, Ausblicke auf die Städte Uzès und Nîmes, es gab einen schnellen Fluß, der sich in vielen Windungen durch ein tiefes Tal schlängelte, es gab hohe Brücken und alte Klöster.
Einer hatte eine große Fertigkeit darin entwickelt, aus starkem Schilfrohr knorrige, knotige Spazierstöcke zu schnitzen, die sehr nützlich waren. Da gingen, liefen, kletterten wir denn herum, halbnackt, mit einem zerlumpten Hemd und zerflickten Hosen, mit Sandalen aus Tuch und Hanf, mit unsern sonderbaren Spazierstöcken. Noch lieber hätten wir Shorts oder gar Badehosen getragen, aber das durften wir nicht, das verbot die französische Sittlichkeit.
Neben Wein, Schnaps und Fraß konnte man im Lager auch Amüsierbetrieb haben, soviel man wollte und für wenig Geld. Man fand Partner für jede Art von Kartenspiel. Geschäftstüchtige Unternehmer schlugen Roulettetische auf. Allein das Hasardspiel wurde von vielen mißbilligt. Immer wieder taten sich welche zusammen, hielten Razzien ab,
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