Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
wanderten unruhig in den Höhlen umher.
Erik packte Andrea mit beiden Händen an den Schultern und schüttelte sie. „Zum letzten Mal“, rief er. „Wo ist Ihr Mann? Wo ist Xaver?“
Sie begann hysterisch zu schreien und versetzte ihm einen Schlag ins Gesicht. Erik stieß sie zur Seite. Sie prallte gegen die Wand und verstummte. Dann rutschte sie zu Boden und blieb leise weinend liegen.
„Verzeihung“, murmelte er. Er sah über die Schulter hinter sich, und dort stand noch immer reglos das Mädchen in der dunklen Pfütze seines eigenen Urins. Erik ging an Andrea vorbei den Flur hinunter. Er öffnete die Tür zu seiner Rechten, und der Geruch von Krankheit und Verfall wurde mit einem Mal so stark, dass Erik zurückprallte, als wäre er gegen eine Mauer gelaufen.
Xaver Wrede lag auf dem Bett. Sein Gesicht war weiß wie Schnee, doch rote Flecken blühten darauf wie Rosen im Winter. Die Haut wirkte wächsern und war von einem dünnen Schweißfilm bedeckt. Das Laken war schmutzig und feucht. Dem Geruch nach zu urteilen , war es nicht nur mit Schweiß getränkt. Ein rasselnder Atemzug fand den Weg in Xaver Wredes Lungen. Als sein Brustkorb sich wieder senkte und die Luft zischend entwich, quollen rosafarbene Bläschen über seine Lippen.
Erik eilte an sein Bett. „Xaver, hören Sie mich?“
Wrede reagierte nicht. Seine Augen waren geschlossen. Erik legte eine Hand auf seine Stirn. Sie war heiß. Dann packte er ihn an der Schulter. „Xaver! Können Sie mich hören?“
Ein weiteres Mal sog Wrede Luft ein. Es klang, als wäre sein Brustkorb mit kochendem Wasser gefüllt. Worte trudelten über seine Lippen, aber sie waren so leise und undeutlich , dass Erik sie nicht verstand.
„Was?“, fragte er u nd beugte sich weiter hinunter.
Wrede strahlte eine solche Hitze aus, dass Erik instinktiv ein Stück zurückwich. Er schlug das kotbesudelte Laken zur Seite. Eine Wolke heißen Gestanks quoll darunter hervor. Xaver Wrede stank nach Tod.
Der Verband an Wredes Hand war rot und durchweicht. Eine dicke, gelbe Flüssigkeit sickerte an den Rändern darunter hervor. Erik holte sein Messer aus der Tasche und schnitt den Verband auf. Er fiel ab wie ein totes Stück Haut. Die Wunde sah furchtbar aus. Das Fleisch war rot und aufgequollen, Eiter hatte sich in dem Riss gesammelt. Ein dunkelroter Strich ging von der Wunde aus, der bis in Wredes Ellenbeuge reichte. Erik verzog das Gesicht. „Ich werde Sie zu einem Arzt bringen, Xaver. Verstehen Sie mich? Ich bringe Sie nach Bruch.“
Xaver Wrede wand seinen Kopf in stummer Verneinung auf dem schweißnassen Kissen hin und her.
„Sie haben eine Blutvergiftung! Sie brauchen einen Arzt, sonst sterben Sie.“ Er blickte auf Xaver Wrede hinunter. Wahrscheinlich stirbst du so oder so , dachte er.
Erik stand auf und wischte sich die Hände an der Hose ab. „Ich bringe Sie nach Bruch. Hören Sie, Xaver? Ich werde Sie nicht hier oben verrecken lassen. Nicht nach allem, was Sie für mich getan haben.“
Aber Wrede reagierte nicht mehr. Er war zurückgesunken in den fiebrigen Dämmerzustand, aus dem Erik ihn kurzzeitig geweckt hatte.
„Ich bin gleich wieder da“, sagte Erik. „Nicht sterben, Xaver.“
Er verließ das Zimmer und ging durch den Flur zur Treppe. Mutter und Tochter hatten sich nicht bewegt, seit er sie verlassen hatte. Das Mädchen starrte ihn leer und reglos an. Als er an Andrea vorüberging, schnellte ihre Hand vor und schloss sich um sein Bein.
„Du hast ihn umgebracht“, keuchte sie. Ihre Stimme klang wie der Schrei einer Krähe. „Du Mörder! Mörder!“
Erik riss sein Bein aus ihrem Griff und sprang die Treppe hinunter. Ihre Schreie folgten ihm. Dann stolperte er durch die Eingangstür auf die Straße hinaus. Er würgte und hustete und spuckte auf die Straße, aber der Gestank des Hauses blieb in seiner Nase, in seinem Mund, in seinem Kopf. Er rannte los.
Wenige Minuten später erreichte er den Pfarrhof. Er lief ins Gästehaus, um seinen Wagenschlüssel zu holen. Einer plötzlichen Eingebung folgend trat er an die Kommode, zog die Schublade auf und holte den Knochen unter seiner Wäsche hervor. Er stecke ihn in die Hosentasche. Dann rannte er hinaus und über die Wiese zu seinem Wagen. Der VW Käfer stand noch immer an derselben Stelle, an der Konrad ihn geparkt hatte. Als er einstieg, empfing ihn der vertraute Geruch des Wagens wie eine schöne Kindheitserinnerung. Sie war Teil eines früheren Lebens, und sie passte nicht an diesen Ort. In
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