Der Teufel in uns - Mord in Bonn
scheuen Lächeln. Sascha nickte ihr zu, und es sah so aus, als wolle sie etwas Nettes sagen. Doch bevor er weitere Komplimente einheimsen konnte, verkündete Kirch, der sich inzwischen auch bis zu Zorn vorgewagt hatte: „Ich habe die Polizei und einen Krankenwagen gerufen!“ Er richtete ein paar anerkennende Worte an Gottfried und Sascha: „Das habt ihr gut gemacht. Ich denke mal, unsere Versammlung wird heute einen anderen Verlauf nehmen als geplant.“
„Ich muss mal dringend zur Toilette“, behauptete Sascha plötzlich und verließ eilig den Raum. In der engen Toilettenkabine holte er sein Handy heraus und fragte in der Zentrale nach, wer Zorn überwacht hatte. Ulli. Also rief er Ulli an und bat ihn, den Kollegen von der Streife, die gleich eintreffen würden, die Sachlage zu erklären und lieber selbst ins Lokal zu kommen.
„Meine Identität steht auf dem Spiel“, erinnerte er Ulli, der sofort wissen wollte: „Welche denn jetzt, die echte oder die falsche?“
„Frag nicht so blöd, ich kann sie kaum noch unterscheiden!“
„Aber sicher, du verhinderter Geheimagent.“
Sascha beendete das Gespräch und ging zurück in den Saal, wo man seine Qualitäten entschieden mehr zu würdigen wusste. Ein paar Leute klatschten sogar, als sie ihn sahen. Vom bärtigen Gottfried allerdings fing er einen misstrauischen Blick auf. Hatte er Sascha durchschaut? Auch Tina guckte skeptisch. Oder war es einfach so, dass sich in dieser Gesellschaft außer Zorn noch mehr paranoide Gestalten herumtrieben? Natürlich.
Im Übrigen saß Zorn reglos auf dem Fußboden und schaute, am ganzen Körper zitternd, einer Bedienung dabei zu, wie sie sein Erbrochenes aufwischte. Wahrscheinlich war der Kerl inzwischen nüchtern und fragte sich, was er da angerichtet hatte. Aber wer wusste schon, was in so einem kranken Verstand vor sich ging.
Sascha ließ den Mann jedenfalls nicht aus den Augen, schenkte seiner Fan-Gemeinde ein kleines Lächeln und setzte sich neben Ramona, deren Wangen jetzt rot wie die Geranien in den Kästen vor den Restaurantfenstern waren.
„Wie fühlst du dich?“, fragte er.
„Besser“, behauptete sie und schwieg dann wieder.
In dem Moment tauchte Ulli auf und ließ sich von Kirch über die Gesamtsituation aufklären. Er sah erst zu Sascha hinüber, als Kirch dessen ,Heldentat‘ schilderte.
Schließlich kam auch der Arzt, verabreichte dem auf dem Boden kauernden, vor sich hinstierenden Zorn eine Spritze und kümmerte sich hoffentlich darum, dass der Kerl irgendwo eingesperrt wurde. Nicht, dass Andreas Ärger bekam, weil er ihn hatte laufen lassen!
Ulli, der mit seinem zurückgegelten Haar und dem leicht schlampigen Outfit wieder einmal aussah wie der nette Kriminelle von nebenan, stellte sich Ramona und Sascha vor, ließ sich ihre Ausweise zeigen und nahm ihre Aussagen auf. Anschließend befragte er auch Gottfried und ein paar andere.
Als die Gemeinde wieder unter sich war, startete Kirch eine kurze Umfrage, ob man das Treffen nun beenden oder ob man weiter machen solle. Die Mehrheit sprach sich fürs Weitermachen aus, besonders Gottfried, der meinte, dass man sich von dieser extrem negativen Vorstellung einer armen Sau die Stimmung nicht verderben lassen dürfe.
Einige Leute machten sich trotzdem auf den Heimweg, die übrigen beteten für Holger Zorns Seelenfrieden, und dann feierte Kirch eine regelrechte Dankesorgie mit seinen Schäfchen. Er dankte Gott dafür, dass nichts Schlimmeres passiert war, dass alle Beteiligten unverletzt geblieben waren, und ging ins Allgemeine: Danke, dass man genug zu essen, ein eigenes Bett zum Schlafen und warmes Wasser zum Waschen hatte. Danke, dass man in dieser Region der Welt von Überflutungen, Dürreperioden, Erdbeben und Vulkanausbrüchen weitgehend verschont blieb. Danke für alle die Dinge, die man für selbstverständlich hielt.
„Merkt ihr, wie gut es tut, Gott zu danken?“, strahlte Kirch, der sich erhoben und die Arme ausgebreitet hatte. „Dankt ihm so oft am Tag, wie ihr könnt, und ihr werdet schon bald erkennen, wie viele gute Dinge euch jeden Tag widerfahren, die ihr vorher gar nicht wahrgenommen habt! Dankt ihm, wenn eine Ampel auf Grün steht, dankt ihm, wenn nur ein Kunde vor euch an der Kasse ist, dankt ihm, wenn euer alter Fernseher einen weiteren Abend überstanden hat.“
Die Leute klatschten begeistert Beifall, und Sascha wunderte sich. Sollte man sich etwa auch für die vielen Morde bedanken, für die verhungernden Kinder in Afrika,
Weitere Kostenlose Bücher