Der Teufel in uns - Mord in Bonn
weiter und so fort. Alles, was ihr tut, hat den gleichen Wert, solange es euch etwas gibt: Zufriedenheit und einen Sinn.“
Allmählich ging Sascha ein Licht auf: Die Leute waren gar nicht hier, um zu beten, sondern um kostenlose psychologische Lebensberatung zu erhalten. Oder war das am Ende das Gleiche?
Während Kirch weitere Beispiele für sinnspendende Tätigkeiten aus dem Hut zauberte, fühlte sich Sascha glatt ein wenig eingelullt von seinem Vortrag. Kirch hatte eine Überzeugungskraft allein in seiner Stimme, dass sogar Sascha auf einmal verstand, dass der Mann genau das tat, was er predigte – er hatte sein großes Talent zu seinem Beruf gemacht!
Ein paar dumme Fragen von Gemeindemitgliedern rissen Sascha schließlich aus seinem gebannten Zuhören heraus und ließen ihn ganz schnell zurück in die Wirklichkeit finden.
Er flüsterte Ramona, die ihm gerade einen neugierigen Blick zuwarf, ins Ohr: „Was kostet es eigentlich, hier Mitglied zu werden?“
Ramona, die Unscheinbare, hob die ungezupften Brauen über den blassen Augen und raunte zurück: „Das kostet gar nichts. Wenn du genug Geld hast, kannst du natürlich was spenden. Wir wollen uns nämlich ein Gemeindezentrum bauen. Ich hab allerdings noch nichts dazugetan, kann ich mir nicht leisten.“
„Was machst du denn so?“
Sie schaute weg. „Ich sitze in einem Supermarkt an der Kasse.“
„Und, gibt dir das was?“
„Ja, Geld, Nackenverspannungen und einen steifen Arm!“
„Dann ist das wohl nicht dein Traumjob.“
„Du bist ja richtig scharfsinnig!“ Aha, die graue Maus konnte beißen. „Ich hab ein paar Mal versucht, mein Abi nachzuholen, aber irgendwie kam immer was dazwischen. Ist eine lange Geschichte, weißt du.“
Sascha nickte, als wisse er Bescheid, lauschte eine Weile der Diskussion zwischen Kirch und Mitgliedern der Sekte über die Sinnfindung im Arbeitsleben und wollte sich eben mit ein paar Fragen an Gottfried wenden, als die Tür des Saals aufgestoßen wurde. Ein massiger Mann im grauen Anzug, mit schütterem Haar und roter Gesichtsfarbe, kam hereingepoltert, sah sich gehetzt um und ließ sich auf den erstbesten Stuhl in seiner Nähe fallen.
Er japste nach Luft, als sei er eine halbe Stunde Seil gesprungen. Aus seinem Äußeren, inklusive der buschigen Augenbrauen (das waren ja wirklich die reinsten Handfeger!) schloss Sascha, dass es sich um den paranoiden und wahrscheinlich alkoholisierten Holger Zorn handelte, der von Satan, der CIA, seinem Vater oder einer ungesunden Mischung aus allen dreien gejagt wurde.
Während die anderen an Zorns Anblick und Auftreten gewöhnt zu sein schienen, sah Sascha immer wieder zu ihm hin. Zorn selbst schaute mit leicht irrem Ausdruck von einem zum anderen...und dann trafen sich ihre Blicke, bohrten sich regelrecht ineinander, Zorn griff sich an seine Krawatte, die sowieso nur noch lose um seinen Hals hing, zerrte daran und atmete immer heftiger. Sascha war überzeugt, dass der Mann ihn erkannt hatte, obwohl das eigentlich nicht möglich war.
*
Sie waren hier! Sie hatten ihn eingekreist!
Holger hatte das Gefühl, keine Luft zu bekommen. Panik kroch durch sein Hirn wie eine Made durch einen Apfel.
Der Mann dort, der mit dem Hut und den komischen Augen – wer war das? Und wie er ihn jetzt anguckte... Das war kein normaler Mensch! Und er war sicher nicht der einzige hier im Saal von seiner Sorte. Nein, sie kamen immer zu sechst, genau, sechs war die Zahl...und die rote Krawatte, das hatte etwas zu bedeuten...rot... Das war ein Zeichen!
Holgers Blick glitt weiter zu Ramona, die neben dem Kerl saß. Ramona, die aussah wie seine Chefin, aber so tat, als sei sie es nicht! Ramona hatte komische rote Flecken im Gesicht. Sie gehörte dazu! Warum begriffen die Leute hier das nicht, waren sie blind?
Holger stand auf, Schwindel, Angst, aber er ging mit ausgestrecktem Finger auf Ramona zu. Die Leute mussten gewarnt werden. „Diese Frau da treibt ein doppeltes Spiel! Sie ist der Teufel! Wir müssen sie –“
„Holger! Verflixt noch mal, reiß dich zusammen!“ Fiona, seine stämmige Frau in grüngemusterter Bluse, sprang von ihrem Stuhl auf, eilte auf Holger zu, stellte sich ihm in den Weg und packte ihn an der Schulter. Und da sah er, dass sie ein Armband aus lauter kleinen, roten Perlen trug.
Um Himmelswillen! Sie gehörte auch dazu! All die Jahre hatte er mit dem Feind unter einem Dach gelebt! Er war ständig unter Beobachtung gewesen! Ihm wurde übel. Wieso hatte er nie etwas
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