Der Teufel in uns - Mord in Bonn
ein. Gottfried drehte sich mit seltsamem Lächeln auf die Seite und ließ seine Blicke über ihren Körper wandern. Am liebsten hätte Tina die Bettdecke bis zum Kinn hochgezogen, aber ihr war plötzlich so heiß, als hätte man sie mit kochendem Wasser übergossen.
„Du bist sehr schön“, stellte Gottfried mit leiser, sanfter Stimme fest, und es klang ehrlich, und dann begann er, Tina von oben bis unten abzuküssen. Nicht einmal die grässlichen Narben an Kopf und Hals und am linken Arm ließ er aus.
Das war ihr unangenehm, sie zuckte sogar zurück … wie konnte er sie dort berühren?! Vielleicht, weil er dich mit Haut und Haaren so liebt, wie du bist? Das war unfassbar. Sie konnte sich ja nicht einmal selbst lieben!
Sie bohrte ihren Blick in das breite Poster, das einen traumhaft weißen Sandstrand mit Palmen vor tiefblauem Meer auf den Seychellen zeigte, und merkte, wie verkrampft sie war. Dein Aussehen stört ihn nicht! Also entspann dich! befahl sie sich … aber natürlich konnte man sich nicht auf Befehl entspannen. Und wieder schien es fast, als spüre er ihre Gedanken. Er hörte auf, sie zu küssen und legte sich neben sie.
Wie aufmerksam er war – und plötzlich fielen ihr im Nachhinein Dutzende von Situationen ein, in denen er ebenso verständnisvoll gewesen war, rücksichtsvoll, liebevoll. Wie hatte sie nur so blind sein können! Er war ein hundert Mal besserer Mensch als dieser Betrüger Jonas! Und beinah hätte sie es nicht gemerkt! Diese Vorstellung trieb ihr Tränen in die Augen.
„Tina, warum weinst du denn?“, fragte Gottfried besorgt.
„Weil ich so blöd war, Jonas hinterher zu laufen!“, schluchzte sie. „Und weil ich beinah nicht mitgekriegt hätte, wie sehr du dich um mich bemühst!“
„Ach, komm mal her, du Geschenk des Himmels“, flüsterte er und nahm sie wieder in den Arm. „Hauptsache, wir haben uns gefunden. Brauchen wir den Schwätzer Jonas überhaupt noch?“
„Oh nein, Jonas ist kein Schwätzer!“ Tina würde Gottfried jetzt die Wahrheit über Prediger Jonas Kirch erzählen! „Jonas ist ein Lügner und Betrüger! Von dem Geld, das wir gesammelt haben, ist das meiste nie auf dem Treuhandkonto angekommen! Der Verbrecher hat sich Tausende von Euro unter den Nagel gerissen! Ich bin -“
„Nun mal langsam.“ Auf Gottfrieds Stirn hatte sich eine unschöne, senkrechte Furche gebildet. „Erzähl mal der Reihe nach.“
Und Tina fing von vorne an. Dass sie Jonas immer wieder verfolgt und von seinen Treffen mit vielen Damen der Gemeinde erfahren hatte, dass sie die meisten Damen angerufen und nach ihren Spenden befragt hatte, bis ihr klar wurde, dass Tausende von Euro verschwunden waren. Dass sie sich eine Nacht mit Jonas hatte erkaufen wollen und von ihm abgewiesen worden war, ließ sie natürlich aus.
Gottfrieds Miene hatte sich während ihres Berichts bedrohlich verfinstert. Er ließ sie los und setzte sich auf. Eine Weile sagte er nichts, aber Tina spürte plötzlich seine Anspannung, und sie hörte ihn knurren: „Was für eine falsche Sau! Und ich rede nicht mal vom Geld! Aber Menschen unter dem Deckmäntelchen von Religion so zu hintergehen… Das ist…das ist so mies und erbärmlich und unfair, dass ich kotzen könnte!“
„Stimmt genau.“ Tina setzte sich ebenfalls auf.
Verärgert fuhr er fort: „Wo, verdammt noch mal, mag das ganze Geld sein?“
Tina legte einen Arm um Gottfrieds Schultern, küsste ihn auf die bärtige Wange und meinte: „Ich schiebe uns eine Pizza in den Ofen, und wir überlegen uns, was wir mit Jonas machen und wie wir das Geld zurückbekommen.“
Das taten sie: Sie aßen Pizza, und sie machten einen Plan für den nächsten Tag.
Ab und zu hörte Tina nicht mehr genau hin, sondern schaute sich ihr Gegenüber an: die wundervollen, dunklen Augen, die schmale Nase, die dunkelbraunen Locken, den wuchernden Vollbart… Wie würde Gottfried wohl ohne Bart aussehen?
Und ganz ohne Vorwarnung war ein anderer Gedanke da: Der Mann war ihr eigentlich völlig fremd, und sie würde ihn nie wirklich kennenlernen. Das machte ihr auf einmal Angst, und sie verspürte das Bedürfnis, allein zu sein. Sie bat Gottfried, nach Hause zu fahren, und Gottfried zeigte sich wieder einmal verständnisvoll.
*
Bonn-Oberkassel - 21.55 Uhr
Marcel war auf dem Heimweg. Es wurde früher dämmrig, als er gedacht hatte. Das lag an den dunklen Wolken. Aber das hatte auch einen Vorteil: Um die Zeit und bei dem Wetter war hier unten am Rhein keine Sau mehr
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