Der Teufel kommt raus: Kriminalroman
vornehmlich an Marylands Ostküste und in den benachbarten Staaten Pennsylvania und Virginia vertrieben wird, ist um halb sieben. Ich unterbiete das um fünfzig Minuten, und meine Story »fließt«, Zeitungsjargon für einen gut geschriebenen Beitrag.
Bis Tillman den Artikel redigiert hat, ich ein paar geringfügige Änderungen vorgenommen und noch ein paar Anrufe bei der Polizei getätigt habe, ist es nach zwanzig Uhr. Fünf Stunden in der
Herald
-Redaktion sind mehr als genug, weshalb ich erleichtert bin, als ich über den Polizei-Scanner eine Durchsage über eine doppelte Schießerei aufschnappe. Das ist mein Stichwort, abzuhauen.
Während ich eilig meinen Notizblock, ein Walkie-Talkie, um mich mit Tillman absprechen zu können, und einen tragbaren Polizei-scanner zusammensuche, bin ich höchst zufrieden mit mir. Klar, Merriwether hat mich fertiggemacht, und diesen Möchtegern-Terroristen hab ich wohl länger bei Laune gehalten als nötig.
Aber schließlich und endlich bin ich morgen auf Seite 1A, eine erstklassige Immobilie, auf die jeder Reporter scharf ist, der etwas auf sich hält. Und ich weiß selbst ganz genau, dass ich verdammt gute Arbeit geleistet habe.
»Ich bin auf dem Weg zum Elfhunderterblock in der McClure Street«, rufe ich Tillman quer durch die Redaktion zu. »Die Bullen melden eine doppelte Schießerei.«
»Okay«, antwortet ein gelangweilt klingender Tillman. »Halten Sie mich auf dem Laufenden.«
Als ich am Tatort eintreffe, ist die blutrote Lache auf dem Bürgersteig schon am Verkrusten.
Eine neugierige Menge aus etwa fünfzig schaulustigen schwarzen Männern, Frauen und Kindern in sommerlicher Kleidung umringt das Opfer der abendlichen Schießerei, das in der Nähe eines koreanischen Tante-Emma-Ladens liegt. Ein paar von den jungen Leuten scheinen schon so an Leichen gewöhnt zu sein wie viele Erwachsene, stelle ich bedrückt fest, als ich den Pressewagen des
Baltimore Herald
rückwärts einparke.
Und da ist es auch wieder, das vertraute Kribbeln, wie Strom, der durch meine Brust und über meinen Rücken fließt. Die Welle der Erregung beschämt mich. Was soll das denn heißen? Dient das Ableben einer unglücklichen Seele mir gleichermaßen der Unterhaltung wie den sensationsgeilen Gaffern?
Der Laufjunge des weißen Pressekorps zu euren Diensten, Leute, sinniere ich, während ich das Beifahrerfenster hochkurbele und die Tür abschließe. Wie aufs Stichwort starren ein paar Schaulustige – die Gesichter von den blinkenden Polizeilichtern zu gespenstischem Blau getönt – wütend zu mir herüber.
Mit einer elfenbeinfarbenen Limousine nicht aufzufallen, auf der rechts und links in großen roten Buchstaben die Aufschrift DER
BALTIMORE HERALD
– BRINGT DIE WAHRHEIT ANS LICHT prangt, ist verdammt schwierig. Innerhalb der weißen Community mag der
Herald
als altehrwürdige Institution mit einem reichen journalistischen Vermächtnis gelten. Innerhalb der schwarzen Community jedoch hat der
Herald
eine hinreichend dokumentierte Tradition, Afroamerikaner auszugrenzen und zu erniedrigen.
Kaum habe ich die Wagentür geöffnet, strapaziert schon ein schrilles, animalisches Wehklagen mein Trommelfell. Das Klagegeschrei einer Mutter, die auf brutale Weise ihres Kindes beraubt wurde.
Am Anfang meiner Karriere hätte dieser Laut auf meinen Armen eine himalayahohe Gänsehaut ausgelöst. Jetzt, wo ich schon fünf Jahre im Geschäft bin, spüre ich gar nichts. Ich habe schon vor langer Zeit gelernt, meine Gefühle an einem schwer zugänglichen Ort zu verstauen und sie erst später abzurufen.
Das mag kaltschnäuzig klingen, aber im Moment konzentriere ich mich auf meinen Aufmacher. Auf wie viele Arten kann man den Menschen erklären, dass irgendein mit der Welt hadernder Dreckskerl wieder mal einen Schwarzen ins Jenseits befördert hat?
Ich entferne mich hastig vom Wagen und gehe die schmale Einbahnstraße hinab, vorbei an den Reihenhäusern aus Ziegeln und Sandstein mit den glänzenden Marmortreppen, die für East Baltimore typisch sind. Vorstadtbewohner besitzen zwar auch Reihenhäuser, nennen sie aber Townhouses und zahlen 80 000 Dollar mehr dafür.
Nicht, dass man diese Wohngegend je mit einer antiseptischen Vorstadt-Enklave verwechseln könnte. Erfahrene Cops nennen dasViertel »Die Hölle«. In dieser Stadt mit ihren mehr als 400 000 Einwohnern entfallen zehn Prozent der Tötungsdelikte auf »Die Hölle«, die aus etwa acht quadratischen Häuserblocks besteht und nur an die 4500
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