Der Teufel mit den blonden Haaren
Vater“, sagte er. „Ich muß dein Gesicht jetzt sehen. Mir fällt es wie Schuppen von den Augen... du und Gaby... ich war ein Narr, ich hätte es mir denken können. Weiß es Mutter?“
„Nein“, sagte der Richter. „Aber sie wird es erfahren müssen. Warst du eifersüchtig auf mich? Hast du sie deshalb erschossen?“
Tonis Gesicht verzerrte sich vor Entsetzen.
„Vater! Ich habe sie doch nicht erschossen! Das weißt du doch, warum versuchst du nun...“
Der Richter packte ihn am Arm.
„Wo ist Mutter? Wo warst du, als der Schuß fiel? Und wo war Mutter? Vor allem aber: wo war das Mädchen?“
Toni stehengeblieben war. „Wo ist sie?“
„Ein Narrenhaus!“ rief er. „Wir sind wohl alle verrückt. Gaby war mit mir zusammen, als dein... als der Anruf kam, sie sagte, du hättest sie gebeten, zur Landstraße zu kommen. Wir tranken noch ein Glas, dann sagte Gaby, sie gehe zur Landstraße, um dir ein für allemal zu sagen, daß sie von dir nichts wolle... daß sie nur mich allein liebe.“
„Und?“ fragte der Richter tonlos.
„Und? Sie ist gegangen. Mich... ich war so eifersüchtig und hatte eine solche Wut auf dich... ich bin ihr nachgeschlichen... quer durch den Wald, ich wollte vor ihr an der Landstraße sein, aber ich kam nicht recht vorwärts, ich mußte ja auch leise sein, und plötzlich hörte ich den Schuß, ganz nahe vor mir... ich bin zurückgelaufen und habe gewartet... auf dich.“
Der Richter nickte.
„So war das...jetzt ist mir einiges klar. Wo ist Mutter?“
„Oben in ihrem Zimmer. Aber Vater, hast du wirklich nicht geschossen?“
„Ich schwöre es dir. Komm, wir müssen sofort mit Mutter sprechen und dann... dann muß ich die Polizei verständigen.“
Sie betraten das Haus, erst jetzt sah Toni, wie sein Vater aussah und hielt ihn am Ärmel fest.
„Du bist also wirklich nur... Vater, wo bist du überhaupt gewesen? Mutter sagte, bei einem Nachbarn, das ist mir doch gleich sonderbar vorgekommen. Was hast du...“
„Später“, rief der Richter und eilte die Treppe hinauf. „Ingrid... Ingrid!“
Er fand das Zimmer seiner Frau leer. Auf ihrem kleinen Schreibtisch brannte die Stehlampe, ein angefangener Brief lag da und daneben der kleine, goldene Füllhalter.
„Ingrid... Ingrid...“! Dr. Mercker wandte sich zur Tür, in der Toni stehen geblieben war. „Wo ist sie?“
„Ich weiß es nicht. Vielleicht unten in der Küche... oder im Keller...“
Dr. Mercker hastete an ihm vorbei, sie suchten zusammen das ganze Haus ab: Frau Mercker war verschwunden.
*
Sabine hatte ihre Drohung wahr gemacht: sie war unmittelbar nach dem Telefongespräch mit Gaby losgefahren. Da die Straßen teilweise glatt waren, kam sie nur langsam vorwärts, langsamer als sie es sich ausgerechnet hatte.
Kurz vor dem Abzweig zum Hause „Sonneck“ erfaßten ihre Scheinwerfer eine Frauengestalt am Waldrand, aber ehe Sabine diese Tatsache richtig erfaßte, war sie schon vorbei. Dann aber trat sie auf die Bremse, daß der Wagen schleuderte. Diese Frauengestalt, das war doch ihre Mutter gewesen... Unmöglich, was sollte Mutti nachts hier an der Straße...
Sabine stand neben ihrem Wagen, wollte rufen, und plötzlich fühlte sie das Grauen in sich hochsteigen. Hatte sie sich geirrt? War diese Gestalt gar nicht ihre Mutter gewesen, war es Gaby, die sich nun doch bei Nacht aus dem Hause stahl? Hatte sie, Sabine, über dieses verhaßte Mädchen gesiegt?
So mußte es wohl sein. Sabine löschte die Lichter und schlich sich auf der Straße zurück. Sie ging langsam und verließ die Straße, um geschützt am Waldrand näher zu der Stelle zu gelangen, wo sie Gaby zu sehen geglaubt hatte.
Plötzlich entdeckte sie einen Lichtschein, er kam von der anderen Straßenseite aus dem Wald, aus einem Dickicht, und dann — ihr stockte der Atem — erkannte sie wirklich ihre Mutter. Sie trat leise aus dem Dickicht, überquerte die Straße und verschwand im Wald, der sich bis zum Hause „Sonneck“ hinzog.
Sabines Herz klopfte zum Zerspringen, sie fühlte, daß hier etwas nicht in Ordnung war, aber was konnte geschehen sein?
Sie lief zu ihrem Wagen zurück, nahm die Taschenlampe aus dem Handschuhkasten und kehrte zu der geheimnisvollen Stelle an der Straße zurück. Sie leuchtete und sah Spuren, die sich in dem Dickicht verloren. Der Schnee war hier zerwühlt, als habe jemand etwas Schweres in den Wald geschleift.
Vorsichtig, Schritt für Schritt, drang Sabine in das Dickicht ein, der kleine helle Lichtkegel ihrer Lampe
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