Der Teufel trägt Prada
etwas abhanden gekommen ist. Aber die Ausweise verraten alles, ob irgendwer unten das Gebäude betritt zum Beispiel oder hier oben in unseren Trakt will. So weiß man auch, ob jemand im Büro ist oder nicht. Wenn du also mal nicht zur Arbeit kommen kannst – eigentlich undenkbar, es sei denn, es wäre eine Katastrophe passiert -, dann gibst du mir einfach deine Karte, und ich lese sie für dich ein. Dann kriegst du die Fehltage trotzdem bezahlt. Umgekehrt würdest du es für mich natürlich genauso machen. Das ist hier so üblich. Eine Hand wäscht die andere.«
Eigentlich undenkbar? Die Frau hatte Nerven. Doch noch bevor ich nachhaken konnte, war sie schon wieder voll in Fahrt.
»Mit dem Ausweis kriegst du in der Kantine auch was zu essen. Er ist nämlich gleichzeitig eine Geldkarte: Du lädst sie auf, und dann wird die Kohle an der Kasse automatisch abgebucht.
So wissen sie natürlich auch, was du isst.« Sie schloss Mirandas Bürotür auf, ließ sich auf den Fußboden sinken und griff nach dem ersten Geschenkkarton.
»Sag bloß, die interessieren sich dafür, was man isst?«, fragte ich. Ja, lebten wir denn in einem Überwachungsstaat?
»Das weiß ich auch nicht genau. Möglich wäre es. Ich weiß bloß, dass sie es feststellen können. Mit dem Fitnessraum ist es dasselbe. Da muss man die Karte auch benutzen und genauso am Zeitschriftenkiosk, um Bücher oder Illustrierte zu kaufen. Ich glaube, das dient bloß der besseren Organisation.«
Der besseren Organisation? Ich arbeitete für eine Firma, die gute Organisation dadurch definierte, dass sie überwachte, auf welcher Etage sich die Mitarbeiter gerade aufhielten, ob sie mittags lieber Zwiebelsuppe oder Salat aßen und wie viele Minuten sie es auf dem Trimmrad aushielten? Toll, dass man sich so um mich »kümmerte«.
Trotz meiner Empörung wäre ich fast im Stehen eingeschlafen. Nachdem ich nun schon den fünften Morgen hintereinander um halb sechs aus den Federn gekrochen war, fühlte ich mich so ausgepowert, dass ich erst einmal fünf Minuten brauchte, bis ich es schaffte, den Mantel auszuziehen und mich hinter meinen Schreibtisch zu klemmen. Ich kämpfte noch gegen die Versuchung an, ein Sekündchen lang Augenpflege zu betreiben, als Emily sich im Nebenzimmer räusperte. Und zwar vernehmlich.
»Würdest du mir vielleicht ein bisschen zur Hand gehen?« Keine Frage, sondern ein Befehl. »Hier, pack was ein.« Sie schob einen Stapel weißes Geschenkpapier in meine Richtung. Aus den Computerboxen dröhnte Jewel.
Schneiden, wickeln, falten, kleben. Emily und ich arbeiteten den ganzen Morgen konzentriert vor uns hin. Immer wenn wir 25 Päckchen fertig hatten, ließen wir sie von einem Hausboten abholen. Bis Mitte Dezember wurden sie im verlagseigenen Kuriercenter zwischengelagert. Dann würden wir grünes Licht geben, dass die Verteilung in Manhattan anrollen konnte. Die
Präsente, die nach auswärts gingen, hatten wir bereits an meinen ersten beiden Arbeitstagen eingepackt. Sie warteten jetzt im Wandschrank auf die Abholung durch einen Paketdienst. Da die Lieferungen schon am folgenden Tag zugestellt werden würden, verstand ich nicht ganz, warum wir es so eilig hatten. Es war ja erst Ende November. Aber ich hatte längst begriffen, dass es besser war, nicht zu viele Fragen zu stellen. 150 Priestly-Flaschen gingen mit FedEx in die ganze Welt, nach Paris, Cannes, Bordeaux, Mailand, Rom, Florenz, Barcelona, Genf, Brügge, Stockholm, Amsterdam und London. Dutzende gingen allein nach London! Sie flogen nach Peking, Hongkong, Kapstadt, Tel Aviv und Dubai (jawohl, Dubai!). In Los Angeles, Honolulu, New Orleans, Charleston, Houston, Bridgehampton und Nantucket würde man auf Miranda das Glas erheben. Und das alles, bevor auch nur die erste Flasche ihr Ziel in New York erreicht hatte, wo Mirandas Freunde und Bekannte, ihre Ärzte, Hausmädchen, Friseure, Kindermädchen, Kosmetikerinnen, Therapeuten, Jogalehrer, Fitnesstrainer, Chauffeure und Einkaufshilfen bedacht werden würden. Genau wie das bunte Völkchen aus der Welt der Mode: Designer, Models, Schauspieler, Redakteure, Akquisiteure, PR-Leute und Modegurus. Jeder würde vom Elias-Clark-Kurier mit einer seinem Rang angemessenen Flasche beschert werden.
»Was meinst du, was das alles kostet?«, fragte ich Emily, während ich mir den wohl millionsten weißen Geschenkpapierbogen zurechtschnipselte.
»Ich hab’s dir doch gesagt. Die Flaschen, die ich bestellt habe, kosten insgesamt 25 000 Dollar.«
»Nein, ich
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