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Der Teufel von Garmisch

Der Teufel von Garmisch

Titel: Der Teufel von Garmisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Schueller
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Blatt, das zwischen einem Dutzend Aufklebern an der Tür hing.
Schafmann klopfte.
    »Was ist los?«, hörte er Fabians Stimme. Sie klang wütend.
    »Ich bin unbewaffnet und komme in Frieden«, sagte Schafmann.
    »Hier darf keiner rein«, antwortete sein Sohn.
    »Ich könnte mich allerdings auch bewaffnen und Verstärkung holen«,
sagte Schafmann.
    Etwas polterte hinter der Tür, dann machte Fabian auf. Er blieb in
der Tür stehen, die Schultern nach vorn gebeugt, als wolle er sein Territorium
notfalls tatsächlich mit Gewalt verteidigen. Seine Augen waren gerötet.
    »He, Großer«, sagte Schafmann. »Alles klar bei dir?«
    »Nein. Ich hab zwei Fünfer gekriegt. Das weißt du doch wohl, oder?«
    »Darf ich reinkommen?«
    Fabian zuckte resigniert die Achseln und gab den Weg frei. Schafmann
versuchte, das herrschende Totalchaos zu ignorieren, aber er musste auf seine
Schritte achten, um nicht über Actionfiguren, Turnschuhe oder Legobauten zu
stolpern. Er kämpfte sich bis zum Schreibtisch durch und setzte sich auf den Stuhl.
Fabian lag längst wieder rücklings auf dem Bett und starrte die Decke an.
    »Was ist los, Großer?«, fragte Schafmann.
    »Nichts«, bekam er zur Antwort.
    Schafmann ließ einen Moment verstreichen, bis er weitersprach.
    »Wenn Opa mich damals so was gefragt hätte, hätte ich auch ›Nichts‹
gesagt.«
    Fabian starrte weiter die Decke an, aber Schafmann konnte seine
Verwunderung spüren über das, was sein Vater gerade gesagt hatte.
    »Opa hätte mir dann gesagt, dass ich auch auf die Hauptschule gehen
könnte und dann eine Lehre machen oder direkt als Tankwart arbeiten.«
    Fabians Blick wurde unsicherer. Offenbar musste er sich zwingen, ihn
an der Decke zu halten.
    »Was ist ein Tankwart?«, fragte er.
    »Leute, die Benzin in Autos füllen. Früher machte man so was noch
nicht selbst. Kein besonders toller Job. Und dann hätte Opa gesagt, ich sei
schlau genug, ich wär nur zu dumm, das zu merken.«
    Jetzt sah Fabian ihn an. » Das hat er
gesagt?«
    »Ehrenwort. Mehr als einmal.«
    »Aber das ist doch ein Schmarrn, oder?«
    »Kam mir auch immer so vor. Aber ich hab’s ihm nie gesagt.«
    »Nie?«
    »Nein. Nie.«
    Fabian ließ den Kopf nach hinten fallen und sah wieder zur Decke.
Aber jetzt wirkte es nicht mehr bockig. Nur traurig.
    »Zu mir hat der Opa nie Schmarrn geredet«, sagte er leise.
    »Zu deinen Kindern werd ich auch nie Schmarrn reden«, antwortete
Schafmann und lächelte seinen Sohn an, als der ihn halb erschrocken, halb
verständnislos ansah.
    »Was ist los?«, fragte Schafmann.
    Wieder fiel Fabians Kopf ins Kissen, und nun schossen ihm Tränen in
die Augen. »Es ist wegen …« Weiter kam er nicht, sein Körper wurde von
Schluchzen geschüttelt.
    Schafmann ließ ihm Zeit, bevor er aufstand und sich auf den Bettrand
setzte.
    Fabian wich seinem Blick aus, aber endlich kuschelte er sich an ihn.
Von seinen Eltern verbat er sich das seit einigen Monaten ziemlich streng.
    »Es ist wegen der Astrid«, hörte Schafmann ihn in seinen Pullover
hineinsagen.
    »Wer ist das?«, fragte er.
    »Die Astrid aus meiner Klasse.«
    »Was ist mit ihr?«
    »Ich … ich muss immerzu an sie denken …«
    Schafmann kniff die Augen zusammen und hielt den Atem an. Jetzt mach
keinen Fehler, dachte er.
    »Verbringst du viel Zeit mit ihr?«, fragte er.
    »Ja … nein … ich weiß nicht. Ich versuch’s.«
    Schafmann nickte verstehend. »Aber sie lässt dich nicht«, stellte er
fest.
    »Nein … doch … aber irgendwie ist immer jemand dabei. Immer eine
Freundin oder einer von den Großen. Und dann macht sie sich über mich lustig.«
    Schafmann ließ die Schultern sinken. Eine Welle von Mitleid überkam
ihn. Mitleid mit dem kleinen Mann, der sich hilfesuchend an ihn klammerte und
seinen Pullover nass weinte. Und dem er überhaupt nicht helfen konnte.
    Elf, dachte er. Das ist früh. Aber vielleicht besser früh als spät,
wer weiß das schon; irgendwann kommt es ja eh. Er überlegte, wie alt er gewesen
war, als er wahrscheinlich ganz ähnlich zum ersten Mal einem Mädchen über den
Schulhof hinterhergedackelt war und sich für sie zum Affen gemacht hatte.
Vielleicht dreizehn? Irene hatte sie geheißen, den Nachnamen wusste er nicht
mehr.
    Und nun, fünfunddreißig, bald vierzig Jahre später, saß er hier als
derselbe Idiot. Ein Idiot, der es kaum schaffte, an etwas anderes zu denken als
an ein Paar dunkler Augen und einen Duft wie eine frisch gemähte Wiese. Und
ausgerechnet dieser Idiot sollte nun seinen

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