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Der Teufel von Garmisch

Der Teufel von Garmisch

Titel: Der Teufel von Garmisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Schueller
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geläutet hätte, schaltete er das Licht an.
Er rieb sich ausgiebig den Nacken und die Augen und versuchte, den Drang zu
ständigem Gähnen in den Griff zu bekommen. Schließlich schleppte er sich ins
Bad und versuchte, unter der Dusche wach zu werden, was halbwegs gelang.
    Er hörte seinen Vater in seinem Zimmer schnarchen, während er sich
in der Küche ein Brot mit Emmentaler belegte und einen Becher Schnellkaffee
aufbrühte. Er sah aus dem Fenster. Der dunkle Oktobermorgen war trocken und
schien das auch bleiben zu wollen. Er konnte zu Fuß zum Bahnhof gehen, ohne schon
vor Reiseantritt die Kleidung zu strapazieren. Als er seinen Kaffee getrunken
hatte, war es halb sechs. Er griff seinen Koffer und verließ das Haus.
    Die frische, fast kalte Morgenluft ließ ihn frösteln, und als er an
der Ampel über die Hauptstraße auf Grün wartete, überkam ihn eine erneute
Gähnattacke. Er stand mit weit aufgerissenem Mund da, als er die Frau bemerkte,
die plötzlich neben ihm stand und ihn ansah. Hastig hielt er die Hand vor den
Mund. Er kannte die Frau nicht. Zwar meinte er, sie schon ein paarmal auf der
Straße gesehen zu haben, aber er hatte keine Ahnung, wer sie war.
    Sie war ein paar Jahre jünger als er, hatte dichte schwarze Locken,
ein offenes Gesicht und schob ein Damenrad.
    »Guten Morgen«, sagte er, als er seinen Unterkiefer wieder unter
Kontrolle hatte.
    Die Frau antwortete mit einem Nicken. Ihr Blick war unsicher, aber
sie musterte ihn intensiv. Sebastian räusperte sich verlegen und sah geradeaus.
    »Entschuldigung, wohnen Sie hier in der Nachbarschaft?«, fragte sie.
    »Ja.« Er wandte sich um und wies die Ludwigstraße hinauf. »Da
drüben.«
    »Ah ja«, sagte die Frau nur. Sie wirkte verlegen. »Ich hab mich nur
gefragt, woher ich Sie kenne … Einen schönen Tag noch.«
    Die Ampel zeigte Rot, aber sie schob ihr Rad an und fuhr auf die
Hauptstraße hinaus. Der dünne Verkehr erlaubte ihr, die Kreuzung diagonal zu
überqueren. Sie fuhr in Richtung Mittenwalder Straße. Ihre weiße Hose fiel ihm
auf. Eine, wie Ärzte sie tragen. Er sah ihr nach, bis sie außer Sicht war, und
verpasste dabei seine Grünphase.
    Er war der Erste auf dem Bahnsteig. Der Burger King hatte noch zu,
sonst hätte er sich wahrscheinlich einen Cheeseburger gekauft. Auf eine Zeitung
hatte er verzichtet, er hätte sich eh nicht konzentrieren können. Er wünschte,
er hätte doch die dickere Jacke angezogen, aber er hatte sich für den
Trenchcoat entschieden. Der war schicker, aber entschieden dünner und hatte dem
Wind, der über die Gleise pfiff, wenig entgegenzusetzen. Langsam wurde aus dem
Frösteln ein Frieren, aber kurz bevor er sich entschließen konnte, in die Halle
zurückzugehen, erschienen Carina und Selbach auf dem Bahnsteig.
    Carina winkte aufgekratzt, als sie ihn entdeckte. Selbach grüßte nur
mit einem Kopfnicken. Er wirkte unausgeschlafen, und sein Vollbart war leicht
zerknautscht. Carina schien sich wirklich auf die Tour zu freuen. Nach und nach
erschien auch der Rest des Vertriebs; als Dr. Lerchl schließlich kam, war
der Zug schon in Sicht.
    Carina verteilte die Fahrkarten und Reservierungen, ab Pasing würde
die Gruppe in unterschiedlichen Wagen sitzen.
    »Herr Polz und ich müssen beieinanderbleiben«, sagte Selbach.
    Carina suchte die entsprechenden Sitzreservierungen heraus. »Wir
haben eine Reservierung zu wenig«, sagte sie. »Vielleicht find ich ja in Ihrer
Nähe einen Platz.«
    »Aber vielleicht findet sich ja auch ein Gentleman«, sagte Dr.
Lerchl vernehmlich in Richtung der Vertriebler, »der der Dame seinen Platz
anbietet.«
    Er hatte wohl nicht laut genug gesprochen. Keiner der Kollegen
reagierte, man war mit dem Einsteigen beschäftigt.
    Carina lächelte weiter fröhlich, als hätte sie mit nichts anderem
gerechnet. Der Zug war angenehm leer. Die Gruppe verteilte sich im Waggon. Die
meisten der Vertriebler klappten ihre Laptops auf. Dr. Lerchl faltete
geräuschvoll seine FAZ auseinander. Selbach, der
Sebastian gegenübersaß, zwinkerte ihm zu.
    »Hinter München ist noch immer früh genug zum Arbeiten«, sagte er.
Dann lehnte er den Kopf an das Seitenpolster und schien sofort einzuschlafen.
    »Beneidenswert«, sagte Carina.
    »Ja«, antwortete Sebastian. »Ich probier das auch mal.«
    Er tat es Selbach nach, aber natürlich war an Schlaf nicht zu
denken. Alle fünf oder sechs Minuten gab es einen Halt mit dem entsprechenden
Geruckel des Waggons und Geschiebe im Gang. Sebastian hielt eisern die

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