Der Teufel von Garmisch
her –, und da Lerchl der Toten nichts nachsagen durfte, würde
er sich eben den nächstbesten Lebenden vornehmen.
Es dauerte ein paar Sekunden, bis Sebastian aus diesem Gedankengang
erwachte und ihm klar wurde, dass Lerchl nicht sein Problem war. Nicht jetzt.
Er hatte anderes zu tun, als sich mit den Launen eines semikompetenten
Vorgesetzten auseinanderzusetzen. Er musste Sannes Mörder finden.
»Am besten, wir erwähnen es gar nicht«, sagte Selbach.
»Ja. Aber ob wir damit durchkommen?«
Selbach kniff die Augen zusammen und sog scharf Luft ein.
»Scheiße«, sagte er dann. »Die Zeit war einfach zu kurz.«
»Ich hätte es vorher ansprechen können«, sagte Sebastian. »Aber zu
ändern war’s ja eh nicht mehr.«
»Schon recht«, sagte Selbach mit einem resignierten Seufzer. »Sie
haben das völlig richtig gemacht. Welchen Zweck hätte es gehabt, über
fragwürdige Details zu reden, solange ich keine Ahnung vom großen Ganzen hatte
… Lassen Sie mich mal raus, Herr Kollege?«
Sebastian stand auf und machte ihm Platz. Selbach verschwand in
Richtung Toiletten. Sebastian setzte sich wieder. Auf dem heruntergeklappten
Tischchen vor Selbachs Fensterplatz lag neben dem Laptop sein Smartphone.
Sebastian fühlte, wie es in seinen Händen zu kribbeln begann. Wenn er jetzt
schon das Programm aus dem Detektiv-Shop gehabt hätte, wäre es die Gelegenheit
gewesen, es aufzuspielen. Eine einfachere Variante ging ihm durch den Kopf. Er
musste nur die getätigten Anrufe auf dem Gerät abfragen, und er wäre schlauer.
Langsam schob er die Hand in Richtung des Gerätes. Es lag direkt da, er musste
nur zugreifen. Als seine Finger sich gerade um das Handy geschlossen hatten,
fragte eine Stimme hinter ihm:
»Kaffee?«
Erschrocken ließ er das Handy los und drehte sich um. Carina hatte
sich aufgerichtet und sah über die Lehne seines Sitzes auf ihn herab. Er
grinste schief.
»Nein danke, Carina. Das ist lieb, aber ich glaub, ich hab genug
Koffein im Moment.«
»Der bleibt lange warm in der Kanne«, sagte sie. »Bis Frankfurt
mindestens … Schickes Ding, das Smartphone vom Selbach, oder?«
»Ja«, sagte Sebastian. »Ich hab’s mir grad mal angeguckt. Wär auch
was für mich.«
»Wenn du jetzt so viel mit dem Vertrieb zu tun hast, kriegst du
vielleicht eins. Soll ich das mal beantragen?«
»Wie? Beantragen?« Sebastian verstand nicht recht. »Bei wem?«
Sie lachte. »Na, genau genommen bei mir. Ich leg das dann Dr. Lerchl
vor. Aber da macht immer der Ton die Musik.«
»Du meinst … der Lerchl bezahlt mir das?«
Ein amüsiertes Lächeln erschien in ihrem Gesicht. »Na, was meinst
du, wer das Ding da bezahlt?«
»Aha …« Sebastian schüttelte den Kopf. Das war einfach nicht seine
Art zu denken. Und das war wahrscheinlich ein Teil seiner Probleme. Seine
Mutter hatte ihn immer gelehrt, dass sich ehrliche Arbeit ehrlich auszahlte. Im
Laufe der Jahre hatte er lernen müssen, dass die Mutter davon gewiss ganz fest
überzeugt gewesen war, aber leider ziemlich danebengelegen hatte. Sich deswegen
zu ändern brachte er trotzdem nicht fertig.
Lass dir dein verdammtes Handy von deinem verdammten Chef bezahlen,
Blödmann! Der tut so was! Du musst ihn nur fragen!
Nein. Eben nicht fragen .
Hingehen und sagen, dass du das haben willst.
Nein. Dass du es brauchst. Punkt.
»Ja«, sagte Sebastian, »dann beantrag mir doch mal so ’n Ding.«
»Okay«, sagte Carina, und ihr Kopf verschwand hinter der Sitzlehne.
Selbach tauchte im Gang auf, und Sebastian ließ ihn wieder auf seinen Sitz.
»Muss ich mit noch so einem versteckten Sprengsatz rechnen,
irgendwo?«, fragte er.
»Nein. Der Rest ist top«, sagte Sebastian. »Dafür steh ich grade.«
»Das freut mich zu hören.« Selbach griff nach seinem Handy, um es in
die Tasche seines Jacketts zu stecken. Er hielt in der Bewegung inne. »Haben
Sie das gesehen?« Er zeigte Sebastian das Smartphone. »Coole Sache, das. Sagen
Sie Dr. Lerchl, dass Sie auch eins brauchen.«
»Brauch ich eins?«, fragte Sebastian. »Warum?«
»Es wäre einfacher für mich«, sagte Selbach.
* * *
»Herein«, rief Schwemmer. Es war ein auffallend schüchternes
Klopfen gewesen, auf das er antwortete. Auch der sehr junge Kollege von der
Wache, der darauf eintrat, war schüchtern.
»Was kann ich für Sie tun … Herr Markowiak?«, fragte Schwemmer. Er
hatte eine Sekunde gebraucht, bis ihm der Name einfiel. Er hatte bisher selten
mit ihm zu tun gehabt.
Markowiak trug ein Schreibheft bei sich, das
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