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Der Teufel Von Muenster

Der Teufel Von Muenster

Titel: Der Teufel Von Muenster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Bekker
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sind durchlässig, und nicht immer braucht es magische Tore oder großartige Zauberkunst, um den Abgrund zwischen ihnen zu überbrücken. So kommt es vor, dass jemand träumt, er sei in einer anderen Welt, aber in Wahrheit dieser Traum wirklicher ist und größere Auswirkungen auf andere hat als das, was er für das wirkliche Leben hält. Manchmal reicht ein intensiver Gedanke, um von der einen in die andere Welt zu wechseln, und in jedem Augenblick unserer Existenz spalten sich neue Welten und Existenzebenen vom Hauptstrom der Zeit ab und bilden eigene Kosmen. Was ich damit nur sagen will, ist: Auch wenn es Euch unerklärlich erscheint und selbst ich, der ich mich einst in solchen Fragen für bewandert hielt, die Ursachen nicht völlig verstehe, so bin ich doch überzeugt davon, in Euch jene Seele wiedergefunden zu haben, die mir einst durch jene heimtückische Krankheit namens Lebensüberdruss genommen wurde.«
    »Branagorn, ich würde sagen …«
    »Ihr seid Cherenwen! Ihr tragt ihre Seele in Euch.«
    Anna schluckte. Die Intensität, mit der er gesprochen hatte, berührte sie, erweckte aber auch ein deutliches Unbehagen. War das vielleicht schon zu viel an Übertragung, die er ihr entgegenbrachte? Vielleicht war das der Punkt, an dem man eine weitere Behandlung am besten durch jemanden fortsetzen ließ, dem Frank Schmitt mit mehr Neutralität gegenüberstand. Andererseits ergab sich durch diese besondere Form der Bindung, die er zu empfinden schien, vielleicht auch die Möglichkeit, ihn an jenen Punkt zu führen, an dem er sich der Realität stellen musste. Der Realität eines den Unterlagen zufolge hochbegabten Menschen, der über ein paar sehr seltene und höchst erstaunliche Talente verfügte und doch nicht in der Lage war, sein eigenes Leben wirklich in den Griff zu bekommen.
    »Müsste ich mich nicht an das Leben von Cherenwen erinnern, wenn ich wirklich ihre Seele in mir tragen würde?«, fragte Anna.
    »Oh, Ihr tragt diese Erinnerungen zweifellos in Euch«, erklärte Branagorn. »Und es wäre nichts Ungewöhnliches, wenn Ihr Euch diesem Wissen verweigern würdet, denn manchmal ist die Wahrheit so beängstigend, dass man sich ihr nicht zu stellen vermag.«
    Wie wahr, dachte Anna.
    »Ich habe lange gezögert, Euch damit zu konfrontieren, Cherenwen«, fuhr Branagorn fort. »Ich kann fühlen, wie sehr ich Euch ängstige, und ganz gewiss läge mir nichts ferner, als die Verkörperung jener Seele zu ängstigen, die ich so sehr geliebt habe. Aber es hat sich eine neue Situation ergeben. Alles hat sich verändert. Und vor allem ist mir klar geworden, dass ich die Schuld an der Bedrohung trage, die auch Euch gefährlich werden könnte.«
    »Es tut mir leid, aber im Moment sprechen Sie in Rätseln, Branagorn.«
    Er sah Anna auf eine Weise an, die bei ihr einen eigenartigen Cocktail an Emotionen hervorrief. Da war Verwirrung, die sich mit Empathie für jene tiefe Melancholie verband, die dieser Mann empfinden musste. Aber da war auch noch etwas anderes. Etwas viel Stärkeres. Etwas, was im Untergrund brodelte und noch keineswegs seine volle Macht entfaltet hatte und von dem Anna trotz ihres in seelischen Dingen berufsbedingt recht weit aufgefächerten Vokabulars nicht wirklich wusste, wie sie es bezeichnen sollte. Auf jeden Fall spürte sie bei ihrem Gegenüber eine Art unbedingte Entschlossenheit. Einen Willen, der keinen Widerspruch zu akzeptieren schien und nicht einmal die ihn umgebende Wirklichkeit selbst als Maßstab anerkannte. Ich hoffe nur, dass ich es früh genug erkenne, wenn er Dummheiten begehen will, überlegte sie, und für einen Moment erinnerte sie sich daran, wie man sie gerufen hatte, um einen lebensmüden Mann in der Verkleidung eines Elbenkriegers daran zu hindern, sich vom Dach des Signal-Iduna-Hochhauses zu stürzen. Ich werde ihm nicht ersparen können, dass wir über diesen Punkt noch einmal reden, erkannte sie. Lebensüberdruss … was für ein passendes Wort für das, was man sonst unter so steril klingenden Begriffen wie »klinische Depression« oder »Suizidneigung« zusammenfasste.
    Branagorn sprach nicht weiter.
    Er saß da und schien ins Nichts zu blicken.
    Lichtjahre weit schienen seine Gedanken sich vom Hier und Jetzt entfernt zu haben.
    Anna entschied sich dafür, diese Stille einfach eine Weile auszuhalten. Das konnte manchmal sehr wichtig für den Patienten sein. Vielleicht werde ich gerade Zeuge, wie sich die Selbstheilungskräfte einer kranken Seele wieder zu regen beginnen,

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