Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Teufel Von Muenster

Der Teufel Von Muenster

Titel: Der Teufel Von Muenster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Bekker
Vom Netzwerk:
Sie fort, Branagorn. Sagen Sie mir genau, wo und wann Sie der Mörderseele begegneten.«
    Ein Lächeln flog über sein Gesicht. »Ich wusste, Ihr würdet mich verstehen, Cherenwen. Und verzeiht mir, dass ich mich abermals erdreistet habe, Euch so zu nennen, aber die seelische Verwandtschaft zwischen uns könnt auch Ihr in diesem Augenblick wohl kaum leugnen.«
    Anna begegnete seinem Blick.
    Ein Gedanke kam ihr in den Sinn. Eine Frage. Soll ich mich diesmal auf das Spiel so weit einlassen, dass ich es ihm erlaube, mich Cherenwen zu nennen, oder ist das der Moment, an dem ich die Distanz unter allen Umständen aufrechterhalten muss? Er ist sensibel genug, um genau die Schwachstellen seines Gegenübers zu erfassen, überlegte Anna. Und auch wenn er so tut, als würde er nur in einer Welt der Phantasie leben und das, was man gemeinhin Realität nennt, nur ganz am Rande und in sehr verzerrter Weise zur Kenntnis nehmen, so heißt das nicht, dass er nicht in der Lage wäre, sein Gegenüber zu manipulieren.
    Branagorn wäre nicht der erste Patient gewesen, der genau dies versuchte.
    Aber hier geht es um mehr, entschied Anna schließlich. Es ging darum, einen Mörder zu fassen, der offenbar einem sehr dunklen Trieb folgte und nicht damit aufhören würde zu töten. Es sei denn, es gelang ihnen, ihn in absehbarer Zeit zu entlarven. Was war dagegen schon das Risiko einer letztlich doch recht harmlosen Grenzüberschreitung im Patient-Therapeuten-Verhältnis? Schließlich hatte sie ja nicht vor, mit Branagorn von Elbara alias Frank Schmitt eine sexuelle Beziehung einzugehen, sondern sie begab sich lediglich mit ihm zusammen auf die Ebene eines Phantasie-Spiels.
    Fast so, als würden wir uns online zum World-of-Warcraft-Spielen treffen oder zu einem dieser Mittelalter- und Fantasy-Festivals gehen, auf denen die Kämpfe zwischen Elben und Orks oder historische Schlachten des Mittelalters nachgespielt werden, dachte Anna. Wahlweise natürlich auch solche aus der Römerzeit oder aus den Befreiungskriegen gegen Napoleon. Die Spiellaune der Erwachsenen schien da keine Grenzen zu kennen. In diesem einen Punkt konnte Anna im Übrigen Hallers Verwunderung darüber gut nachvollziehen. Allerdings hatte sie selbst sich auch als Zehnjährige nicht verkleidet, um in eine Spielrolle zu schlüpfen. Nicht einmal als Fünfjährige – und dass über Zwanzigjährige sich damit die Freizeit vertrieben, erschien ihr ohnehin vollkommen absurd. Sie konnte das nur als psychosoziales Phänomen zur Kenntnis nehmen und versuchen, es mit Hilfe einer wissenschaftlichen Methodik zu verstehen. Aber nachempfinden konnte sie das nicht. Sie selbst hatte manchmal das Gefühl, schon kontrolliert, vernünftig und erwachsen auf die Welt gekommen zu sein. Jedenfalls konnte sie sich an nichts anderes erinnern. Und da es schon schwierig genug war, die Ordnung in der realen Welt aufrechtzuerhalten, verspürte sie kein Bedürfnis, diese Ordnung dadurch ins Wanken zu bringen, dass sie in die Gefilde ihrer Phantasie abdriftete. Das Ergebnis mochte dann am Ende ein Wahn sein, wie er Branagorn befallen hatte. Es war nur ein einziger, verhängnisvoller Schritt, und man spielte nicht mehr den Elbenkrieger, sondern man war einer. Aber das war etwas, was Anna niemals passieren konnte. Glaubte sie. Hoffte sie. Um eine solche Bedrohung ihres innersten Selbst rechtzeitig erkennen zu können, hatte sie ja eigentlich lange genug studiert, wie sie fand.
    »Nennen Sie mich Cherenwen – wenn es tatsächlich so sein sollte, dass Sie Cherenwen leichter das anvertrauen können, was Sie offensichtlich entdeckt haben.«
    »Es war ein Blick in die Augen. Kennt Ihr das, werte Cherenwen? In einem einzigen Augenblick – und damit meine ich den figürlichen Sinn dieses Wortes – kann einem alles klar werden.«
    »Von welchem Augenblick sprechen Sie?«
    »Es war auf der Planwiese in Telgte, als ich der Mörderseele hinter der Schnabelmaske gegenüberstand. Da habe ich sie an ihren Augen erkannt. Denn die waren in den dafür ausgeschnittenen Löchern gut zu sehen. Dieselben Augen sind mir begegnet, als ich vor ein paar Jahren einen längeren Aufenthalt in der Psychiatrie in Lengerich hatte.«
    »Sie meinen, Sie können allein anhand der Augen jemanden wiedererkennen?«
    »Was ist so ungewöhnlich daran? Kein Auge gleicht dem anderen, und an den Mustern der Iris sehen die Heilkundigen, an welchen Krankheiten jemand leidet …« Branagorn wandte sich an Haller. »Ich kann Euch leider nicht mit

Weitere Kostenlose Bücher