Der Teufel Von Muenster
erkannt habt, wer Ihr im Innersten Eurer Seele seid, werte Cherenwen. Dass Ihr Euch selbst und damit auch mich in dieser Weise erkannt habt, bedeutet für mich eine Form des Glücks, die zu erleben ich kaum noch zu hoffen gewagt habe. Insofern sind all Eure Sorgen unberechtigt. Auf dem Dach eines Hochhauses werdet Ihr mich so schnell nicht wieder antreffen. Und ansonsten könnt Ihr über das sprechende Artefakt mit mir in Verbindung bleiben, sollte die Kraft Eures Geistes allein dafür nicht ausreichen.«
Anna sah ihn an, und Branagorn erwiderte ihren Blick. Ein stilles Einverständnis herrschte zwischen ihnen, darüber, nicht weiterzusprechen. Ich kann jetzt also meinen Haken bei »keine akute Suizidgefahr« machen, dachte Anna. Es war das sich ewig wiederholende Spiel zwischen Therapeut und Patient. Der Therapeut musste nach Selbstmordabsichten fragen, wenn es irgendwelche, auch nur vage Anhaltspunkte in diese Richtung gab. Tat er es nicht, und der Patient brachte sich später um, musste er sich sonst unangenehme Fragen gefallen lassen und war unter Umständen sogar haftbar. Aber fast alle Patienten wussten genau, was sie zu sagen hatten. Man bestritt am besten selbst den Gedanken an Selbstmord, sonst war der Therapeut nämlich verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen. Eine Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung, Überwachung rund um die Uhr und so weiter. Wer zugab, an Selbstmord zu denken, verlor augenblicklich seine Freiheit. Grund genug gerade für diejenigen, die es wirklich vorhatten, auf jede diesbezügliche Frage mit Nein zu antworten.
So gab es also immer wieder diesen stillen Pakt zwischen Therapeut und Patient. Der Schwur, sich nicht umzubringen gegen die Freiheit. Selbst Kinder und geistig Behinderte durchschauten das schnell.
»Gut«, sagte Anna. »Dieser Punkt wäre also mal wieder geklärt.«
Mit einem Gefühl der Verwirrung kehrte Anna van der Pütten in den Konferenzraum zurück. Haller hatte gerade den Bericht des Gerichtsmediziners bekommen und blätterte darin herum.
»Ich hoffe, wir sehen deinen Patienten so schnell nicht wieder«, meinte Haller.
»Sven, er könnte recht haben«, sagte Anna, und ihre eigene Stimme klang dabei wie die einer Fremden.
»Das meinst du nicht ernst!«
»Wir sollten zumindest die Personen, die wir bisher mit den Opfern in Verbindung bringen konnten, daraufhin überprüfen, ob von denen jemand in Lengerich zu dem Zeitpunkt in der Psychiatrie war, in der auch Branagorn – also Frank Schmitt dort gewesen ist.«
»Du überraschst mich«, stellte Haller fest und schloss den Obduktionsbericht wieder. »Was soll das? Bist du jetzt auch schon geistig in einer anderen Welt, oder muss ich befürchten, dass du in Zukunft als Burgfräulein oder sonst was verkleidet ins Präsidium kommst?«
»Wir haben bisher nicht viel an Anhaltspunkten. Aber einer ist doch, dass alle Opfer offenbar eine Vorliebe für mittelalterliche Verkleidungen hatten. Das Foto beweist es.«
»Die werden sich dabei vermutlich kennengelernt haben«, vermutete Haller.
»Und ein anderer Anhaltspunkt ist diese Pestmaske. Sie ist auf dem Foto, und Branagorn war überzeugt, den Täter auf der Planwiese darunter erkannt zu haben. Timothy Winkelströter vertreibt diese Verkleidungen – der Mann, der als Einziger bisher so etwas wie ein Verdächtiger ist.«
»Was schon reichlich übertrieben ist.«
»Ich bin inzwischen davon überzeugt, dass der Mörder und die Opfer sich kannten – denn die Opfer kannten sich auch untereinander.«
»Und dieser Herzog Schmitt soll ihm in einer Klapsmühle begegnet sein?«
»Ergibt das denn keinen Sinn? Außer dass der Täter dem erweiterten Bekanntenkreis dieser jungen Leute entstammen muss, wäre es nicht überraschend, wenn er zuvor schon mal wegen psychischer Auffälligkeiten in Behandlung war. Branagorn redet dauernd davon, dass dieser Traumhenker mit ihm aus einer anderen Welt in die unsere gekommen ist. Aber mittlerweile glaube ich, dass man diese Aussagen vielleicht nicht als Spinnerei, sondern als eine metaphorische Ausdrucksweise verstehen sollte. Eine andere Welt – das ist vielleicht nur ein anderer Ausdruck für die Psychiatrie in Lengerich. Dort fühlte er sich einerseits wohl, gibt aber andererseits auch an, die Hölle erlebt zu haben, was nicht verwunderlich ist, denn es kommt ja in der Therapie immer wieder zu existenziellen Krisen. Und vielleicht wollte er mit dieser Redeweise einfach nur ausdrücken, dass er davon überzeugt ist, dass der
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