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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyndsay Faye
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kam, hatte das Haus schon einen ganzen Steinbruch in die gegenüberliegenden Gebäude geschleudert.
    Zuerst dachte ich, Heiliger Strohsack, da hat jemand in unserer Mitte eine Bombe gezündet . Doch dann erinnerte ich mich, während es die riesige Lagerhalle vor meinen Augen in Stücke riss, in irgendeinem Winkel meines vom Höllenfeuer ganz benommenen Hirns, dass die Broad Street Nr. 38 gegenwärtig als Salpeterlager diente. Dort lagerten ganze Schiffsladungen Schießpulver, die dem berühmten Händler-Duo Crocker und Warren gehörten. Was für New York wahrhaftig eine Schande war. Ein Donnerschlag brachte fast mein Trommelfell zum Platzen, und ich dachte: Was für ein Pech. Da muss ein Fenster offen gestanden haben , denn offensichtlich war glühende Asche von dem Ölfeuer in der New Street mit dem Wind über die Durchgangsstraße getragenund in einen Raum mit Schießpulverfässern geweht worden. Mitten im Getöse hingen luftige Aschespiralen vollkommen reglos über den Pflastersteinen. Es war nicht sehr schlau von mir, in dem Moment auch noch über Dinge wie Pech oder Glück nachzusinnen, doch explodierende Salpeterlager hatten offenbar eine verlangsamende Wirkung auf mein Denkvermögen.
    Viel zu spät drehte ich mich um und rannte los. Ich war gerade zwei Schritt weit gekommen, als ich eine Frau an mir vorbeifliegen sah, mit offenem Mund, das Gesicht versteinert vor Überraschung, das Haar in einem Bogen nach hinten strömend. Ein Schuh war ihr vom Fuß gerissen, und der Fuß selbst hatte einen Blutfleck auf dem Rist. Auf einmal sah ich alles verzerrt und merkte plötzlich, dass auch ich durch die Luft flog. Dann hörte ich – nein, fühlte ich, denn die Welt war still –, dass die Erde in zwei Stücke riss, so leicht, als sei sie ein alter, morscher Baumwolllappen.
    Als ich die Augen wieder aufschlug, stand der Planet auf dem Kopf. Und explodierte noch immer.
    Mein Kopf war gegen eine Tür gelehnt, die zwar noch im Rahmen hing, aber Türen sollen eigentlich nicht horizontal stehen. Ich fragte mich, warum das bei dieser hier so war. Und warum sich überall um mich herum riesige Steine türmten.
    Eine winzige Flamme, nicht größer als die eines Streichholzes, züngelte an dem roten Kalbslederschuh der Frau hinauf, sechs Zoll von meiner Hand entfernt. Dieses winzige Flämmchen brachte mich fürchterlich in Rage – es kam so süffisant und verschlagen daher. Ich wollte den Schuh retten, ihn der fliegenden Frau zurückgeben, aber seltsamerweise konnte ich meine Arme nicht mehr bewegen. Der Zeigefinger meiner rechten Hand zuckte wie ein niedergeknüppeltes kleines Tier. Durch einen Spalt sah ich den Himmel und fragte mich, wie es so schnell Tag werden konnte.
    » Tim! Timothy!«
    Diese Stimme kannte ich. Ich spürte einen Anflug von Ärger und zugleich, vom Schock verursacht, eine blanke, dumme Angst.Er hatte also nicht so viel Morphium intus, dass er nicht mehr hätte stehen können. Natürlich nicht, das wäre ja auch viel zu einfach gewesen. Stattdessen stürmte er mitten ins Zentrum der Katastrophe, während Steinsplitter und Schwefel auf ihn niederregneten. Das sah ihm ähnlich.
    » Timothy , sag mir, wo du bist! Um Himmels willen, Tim, so antworte mir doch!«
    Aber meine Zunge klebte mir stur am Gaumen. Ich wollte nicht, dass diese Stimme mich auf dem Boden liegen sah, in der Pose einer chinesischen Tänzerin, unfähig, auch nur einen Schuh anzuheben. Außerdem wollte ich diese Stimme nicht in der Nähe einer Lagerhalle hören, die sich aufführte, als sei sie die größte Kanone der Welt. Doch alles, was mir durch den Kopf ging, war ein wattiges Nein .
    Etwas Klebriges und Metallisches rann über meine Wange.
    Licht. Viel zu viel Licht.
    Ich wurde von einer flackernden, gelben Feuersbrunst geblendet, so groß wie im Kamin Gottes, als jemand begann, die Steine wegzuzerren. Nur der obere Teil meines Körpers lag unter ihnen begraben. Meine Beine waren an der Luft, und bald schon auch mein Gesicht, nachdem eine bärenartige, wenngleich sauber rasierte Gestalt ein schweres eisernes Fenstergitter fortgeschleudert hatte.
    »Herrgott, Tim. Julius Carpenter hat dir gerade die Haut gerettet, als er mir geplaudert hat, wohin du gegangen bist. In dieser Straße atmet keiner mehr.«
    Ich kniff die Augen zusammen. Vor mir stand mein sechs Jahre älterer Bruder, ein rußgeschwärzter Schrank von einem Mann, mit einer frei am Gürtel schwingenden Axt, das Gesicht verdunkelt im Schatten des Infernos dahinter. Der Zorn

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