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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyndsay Faye
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Sache gewiss: Meiner Ansicht nach haben Sie ganz recht«, antwortete ich. »Es ist mir zuwider, Sie an diesen Orten zu sehen, aber ich kann es nicht den Iren zum Vorwurf machen, dass sie in diesen Höllenlöchern leben. Ich denke nicht, dass Gott sie dorthin gesetzt hat.«
    Mercy sah mich einen Augenblick durchdringend an, die blauen Augen glänzten in einem seltsamen Licht, als wolle sie in meinem Kopf lesen. Dann stand sie auf.
    »Ich muss zurück zur Pfarrei. Sie sind übrigens auch sehr mutig gewesen, wissen Sie, das war herrlich. Aber Sie sind ein seltsamer Mann, Mr. Wilde.«
    Die Worte warfen mich um. »Ich dachte, Sie kennen mich mittlerweile ganz gut.«
    »Oh, gewiss. Aber das, was Sie nicht tun, ist so vollkommenunerwartet, müssen Sie wissen.« Sie biss sich auf die Unterlippe, während sie weiter darüber nachdachte. »Sie haben mir nicht die Leviten gelesen. Und Sie haben mir auch nicht gesagt, ich solle nach Hause gehen. Oder ich solle meine Zeit nicht mit Zeitungsjungen vergeuden oder aufhören, den Kranken beizustehen«, setzte sie mit einem aufzuckenden Lächeln hinzu. »Es gibt so viele Dinge, die Sie nicht tun.«
    »Noch mehr, meinen Sie?«, fragte ich, noch immer ein wenig fassungslos.
    »Na ja, Sie haben mich auch noch nicht Miss Underhill genannt, wie Sie das seit dem Feuer sonst immer getan haben. Aber vielleicht hatten Sie das gerade vor?«
    Der Washington Square war plötzlich sehr groß. Es war ein Ozean aus Gras und Bäumen ohne jede Grenze, die einem Mann hätte anzeigen können, wo er sich befand. Die eine Seite von Mercys Kragen war etwas heruntergerutscht, so dass dort mehr von ihrer Schulter zu sehen war als auf der anderen. Aber man durfte ihn nicht wieder zurechtrücken, er musste genau so bleiben, wie er war, dieser berauschende Mangel an Gleichgewicht, der ihr eigen war. Genauso wie ihr Haar niemals dort blieb, wo sie es haben wollte, und die einzelnen Strähnen flogen wie Drachenschnüre.
    »Geben Sie auf dem Nachhauseweg auf sich Acht«, sagte ich. »Ich gehe in die Tombs, aber ich werde Sie bald wiedersehen. Ich muss Giftzahn einen Feuerwerker bringen.«
    Mercy wartete einen Moment, doch ich fügte nichts mehr hinzu. Nur der zarte Gesang eines Vogels markierte die verstreichenden Sekunden. Also nickte sie grüßend und ging Richtung Süden davon, ihr blassgelbes Kleid raschelte durchs dürre, gelbe Laub.
    Die Leute erzählen mir alles Mögliche. Über ihre Finanzen, ihre Hoffnungen wie Fackeln in der Dunkelheit, über die Kleinigkeiten, die sie in Rage bringen, über ihre Sünden, wenn diese Sünden sich zu sehr anfühlen wie ein Gefängnis, aus dem sie ausbrechen wollen. Doch nie in meinem Leben hatte mir irgendeinBekenntnis das Gefühl gegeben, nicht schwerer, sondern leichter zu werden, so als hebe mich ein Lufthauch in die Höhe. Vielleicht würde ich Mercy nie verstehen, würde nie begreifen, warum sie sich so umwunden ausdrückte, oder erraten, was sie dachte. Trotzdem. Ich wünschte mir nur Eines: es noch jahrzehntelang weiter zu versuchen.
    Ich denke an London, wissen Sie.
    Und ich stellte fest, das konnte ich auch. Und das würde ich.

14
    Mit der Toleranz gegenüber allen Religionsgemeinschaften gewähren wir gleichen Schutz nicht nur denen, deren religiöser Glaube und Glaubenspraxis das Prinzip unterstützt, auf dem die Toleranz aller gründet, sondern auch dem allein für sich stehenden Glauben des Katholizismus, dessen System auf der Missachtung jeglicher Toleranz aufbaut. Ja, den Katholiken ist es gestattet, im Lichte protestantischer Toleranz ihr Werk zu verrichten, ihre Pläne zu schmieden und das Ziel zu verfolgen, am Ende dieses Licht auszulöschen und die Hand, die es hält, zu zerstören.
    Samuel F. B. Morse, 1834.
    Als ich in Polizeichef Matsells Büro in den Tombs eintraf, war er mit Schreiben beschäftigt. Er gab mir ein Zeichen, auf einem Stuhl Platz zu nehmen. Ich tat es und sah mich interessiert in dem Raum um, den dieser merkwürdig beeindruckende Mann für seine Zwecke gestaltet hatte.
    An der Ostwand hing, natürlich, ein Stadtplan von New York, ein riesiger, liebevoll gestalteter Plan, auf dem unsere Bezirke deutlich gekennzeichnet waren. Eines der endlos hohen Tombs-Fenster ragte hinter dem Schreibtisch auf und ließ eine unglaubliche Menge leblosen beigefarbenen Lichts in den Raum fallen.
    Der Schreibtisch war erstaunlicherweise nicht mit Papieren überhäuft. Immer nur ein Projekt auf einmal, schien es, so unwahrscheinlich das war. Vielleicht

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