Der Teufelsfürst
ein und reitet nackt auf ihrem Besen!« »Wie ihre Großmutter«, fauchte eine andere Stimme. »Das kommt davon, wenn man Fremde in die Stadt lässt!« In Zehras Brust richtete sich ein Dorn auf. Das war es also! Seit ihrer frühesten Jugend hatte sie immer und immer wieder den Spott der anderen Kinder ertragen müssen, weil sie die dunkle Färbung ihrer Großmutter geerbt hatte. »Zehra! Was ist denn das für ein Name?!«, war sie ständig gefragt worden. Und mehr als einmal waren sie und ihre Großmutter von den Ulmerinnen bespuckt worden, als sie Kräuter und andere Zutaten für ihre Tränke auf dem Markt gekauft hatten. »Warte nur«, rief eine alte Bäckerin aus, bei der Zehras Familie seit eh und je Brot kaufte. »Wenn du erst brennst, kann dir der Leibhaftige nicht mehr helfen!« Sie schlug mehrere Kreuze vor der Brust und schüttelte die Fäuste. Schaudernd senkte Zehra den Blick, da ihr die Wolke aus wabernder Bosheit mehr Angst einjagte als der Prozess, der ihr bevorstand. Wie sollte sie das Gericht jemals davon überzeugen, dass sie unschuldig war, wenn offenbar alle schon das Gegenteil beschlossen hatten? Ihr Bruder schob sich von hinten an ihre Seite und flüsterte: »Hab keine Angst. Der Prokurator wird dafür sorgen, dass dieser Spuk schon bald ein Ende hat.«
Dankbar für seine aufmunternden Worte hob sie den Kopf und schenkte ihm ein zaghaftes Lächeln, das allerdings sofort erstarb, als das Rathaus in Sicht kam. Dort, im ersten Stock, befand sich der Saal, in dem über ihr Schicksal entschieden werden würde. Oft genug hatte ihr Vater von den Sitzungen des Rates berichtet, an denen er bald als vollwertiges Mitglied hätte teilnehmen können. Bei dem Gedanken an ihren Vater wurde ihr die Brust eng. Sie zwang sich, die Trauer zu schlucken. Denn wenn sie jetzt die Haltung verlor, würde das gewiss als Eingeständnis ihrer Schuld ausgelegt werden. Eine nicht unbeträchtliche Menschenmenge drängte sich vor dem Eingang. Es kostete die Gerichtsdiener und Wachen einige Mühe, sich einen Weg durch die erzürnten Ulmer zu bahnen. »Bindet sie aufs Rad!«, brüllte jemand. Augenblicklich stimmten die anderen mit ein. »Aufs Rad, aufs Rad, aufs Rad!« »Bleibt zurück!«, donnerte einer der Bewaffneten. In Windeseile bildete er mit seinen Kameraden eine schützende Reihe. »Macht, dass ihr sie reinschafft«, blaffte er die Gerichtsdiener an, und Zehra bekam von hinten einen Stoß in den Rücken. Halb geschoben, halb gezogen gelangte sie schließlich im ersten Stock an und fand sich viel zu schnell in einem getäfelten Raum wieder. Dort thronten Ammann, Beisitzer und Bürgermeister auf einem Podest, hinter dem das Wappen der Stadt aufgezogen war. Die Wände wurden von Bänken gesäumt, auf denen protzig gekleidete Männer saßen. Die Hitze im Saal raubte Zehra beinahe den Atem. Sie spürte, wie der Schweiß aus ihren Poren trat. Hinter ihr schoben sich diejenigen der reichen Bürger in den Raum, welche von den Wächtern als unbedenklich erachtet wurden. Und schon bald war der Gerichtssaal zum Bersten gefüllt. Ohne dass sie bemerkte, wo er hergekommen war, tauchte plötzlich ein eleganter junger Mann neben ihr auf und raunte ihr ins Ohr: »Ich bin Jakob Löw, Euer Prokurator.« Er entblößte zwei Reihen blendend weißer Zähne und gab den Bütteln ein Zeichen, Zehra loszumachen. »Was immer man Euch vorwirft, es wird den heutigen Tag nicht überdauern, vertraut mir.«
Er verstummte – genau wie die übrigen Anwesenden –, da der Bürgermeister sich erhoben hatte. »Ich bitte um Ruhe«, sagte dieser ernst und wandte sich Zehra und ihrem Rechtsvertreter zu. »Zehra von Katzenstein, Ihr seid des Mordes und der Hexerei angeklagt. Euch wird zur Last gelegt, Euren Vater durch Zauberkunst und finstere Rituale getötet zu haben. Als Kläger fungiert die Stadt, vertreten durch den Ammann.« Er machte eine bedeutungsvolle Pause. »Ihr habt das Recht auf einen Fürsprecher. Wie ich sehe, macht ihr davon Gebrauch.«
Sein Blick wanderte zu Jakob Löw, der sich leicht verneigte.
»Gesteht Ihr die Tat?«, fragte der Ammann, der sich ebenfalls erhoben hatte, und Zehra drohend musterte. Sie holte keuchend Luft. »Nein!«, rief sie aus. »Das ist doch alles Wahnsinn!« Der Prokurator erhob die Stimme. »Die Beschuldigte möchte sich durch einen Eid reinigen«, sagte er ruhig und wandte sich an Zehra. »Hebt die Rechte und sagt: Ich schwöre bei Gott und allen Heiligen, dass ich die mir vorgeworfene Tat nicht begangen habe
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