Der Teufelsfürst
Volkes, das Gott weiß woher stammte. Ein Mann, dessen Aufmerksamkeit sicher nicht viel mehr wert war als die eines Bettlers! Sie unterdrückte ein Seufzen, da sie die anderen nicht wecken durfte und obendrein genau wusste, dass sie sich selbst belog. Voller Groll und Eifersucht vergrub sie den Kopf in den Kissen und versuchte, alle Gedanken an Michel und seine unbekleidete Rückseite zu verdrängen – was ihr allerdings nicht gelingen wollte. Je länger sie mit geschlossenen Augen dalag, desto deutlicher wurden die Bilder.
Als endlich ein Hahnenschrei den neuen Morgen verkündete, war sie die Erste auf den Beinen. Doch auch die anderen begannen bald, sich zu regen.
Wie die Tage und Wochen zuvor verschwanden Vranka, Kaliya und Ribika nach einer kurzen Wäsche in der Küche, wohingegen Zehra nicht wusste, ob sie gebraucht wurde oder nicht. Wenn ihn doch nur der Blitz erschlagen würde!, dachte sie bitter und trottete ins Untergeschoss, um ein karges Frühstück zu sich zu nehmen. Dann begab sie sich in die Stube, die noch verwaist dalag. Vermutlich hatte er sich in der Nacht zu sehr verausgabt! Sie widerstand der Versuchung, einem der Stuhlbeine einen Tritt zu versetzen, und sah sich im Raum um.
Anstatt sich zu benehmen wie eine dumme Gans, sollte sie lieber dankbar sein für die Möglichkeit, mehr Papier zu stehlen. Denn seit der Abreise aus Augsburg war es ihr nicht mehr gelungen, unbemerkt etwas einzustecken. Bemüht, jedes verräterische Geräusch zu vermeiden, durchstöberte sie die – zum Glück unverschlossenen – Schubladen auf dem Tisch, bis sie fand, was sie suchte. Achtsam zog sie mehrere Bögen hervor und verstaute sie in ihrer Fucke. Tinte und Federkiel hatte sie bereits in Augsburg entwendet und kurz nach ihrer Ankunft unter der Matratze versteckt. Wer sagte denn, dass sich nicht wieder eine Gelegenheit auftun würde, Utz einen Brief zu schicken? Wenigstens wusste er jetzt, dass sie noch am Leben war.
Allein dafür sollte sie dankbar sein! Die Worte ihrer Großmutter Sapphira fielen ihr ein: »Gott bürdet einem nur die Last auf, die man tragen kann«, hatte sie oft gesagt. »Bevor du zerbrichst, sendet er Rettung.« Zehra seufzte. Wenn das doch nur wahr wäre! Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und sah sich zaudernd im Raum um, bevor sie sich ein Herz nahm und die anderen Schubladen noch einmal aufzog.
Warum sollte sie die Gelegenheit nicht beim Schopf packen, um mehr über den Herzog der Sinti herauszufinden? Sie kramte ein Bündel Briefe hervor und drehte es unschlüssig in der Hand, bis ein Funkeln darunter ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Scheinbar aus einem Beutel gekullert, steckte eine Goldmünze zwischen den Brettern des Faches – einsam und vergessen. Ihr Unglaube verwandelte sich schnell in Aufregung. Das musste ein gutes Omen sein! Mit leuchtenden Augen zog sie das Geldstück hervor und betrachtete es, als wäre es ein kleines Wunder. Sie hatte gerade die Hand darum geschlossen, um es in ihrer Tasche zu verstauen, als jemand den Gang entlangpolterte und trocken hustete. Keine zwei Wimpernschläge später stieß Herzog Michel die Tür auf und verharrte im Rahmen, sobald er Zehra erblickte. »Was tust du hier?«, fragte er wutentbrannt. Zehras Eingeweide zogen sich vor Furcht zusammen. Nur mit Hemd und Hose bekleidet, riesig und bedrohlich betrat er den Raum und baute sich vor ihr auf. Deutlich zeichneten sich seine Brustmuskeln unter dem dünnen Seidenstoff ab. Sein Geruch stach Zehra bis tief ins Gehirn. »Ich habe dich etwas gefragt!«, herrschte er sie an und packte sie grob am Arm. »Was versteckst du da?« Seine Pranke schloss sich um Zehras Linke. Mühelos zwang er ihre Finger auseinander, was dafür sorgte, dass ihr das Goldstück entglitt. Mit einem anklagenden Laut traf es auf dem Dielenboden auf und kullerte einige Schritte weit, bevor es schließlich liegen blieb. Michels Gesicht wurde noch einen Schatten dunkler, und er holte aus, um Zehra eine furchtbare Ohrfeige zu versetzen. So viel Kraft lag in dem Schlag, dass das Mädchen zur Seite geschleudert wurde und über einen Stuhl fiel. Zusammen mit diesem ging es zu Boden, wo es wie von einer Axt gefällt liegen blieb. »Du diebische Elster!«, sagte er gefährlich ruhig und machte seinen Gürtel los. »Dir werde ich das Stehlen austreiben!«
Kapitel 35
Nürnberg, ein Bürgerhaus, Juni 1447
Die ersten Hiebe trafen Zehra am Rücken. Wimmernd versuchte sie, vor ihrem Peiniger davonzukriechen. Als die Wand ihren
Weitere Kostenlose Bücher