Der Thron des Haryion
sie geradeheraus.
Lankohr sackte sichtlich in sich zusammen.
»Wenn du etwas weißt, dann heraus mit der Sprache«, verlangte er.
Scida kam auf die beiden Aasen zu.
»Falls die anderen in Gefahr sind, ist es unsere Pflicht, ihnen beizustehen. Also…«
»Ich habe keine Ahnung, was sich wirklich abgespielt hat«, gestand Heeva.
»Eine Vision?« drängte Lankohr. »Sag schon! Ist – ist Mythor tot?«
Heeva brauchte Zeit, um sich zu besinnen. Sie war verwirrt, wußte selbst nicht, was mit ihr geschehen war. Hin und wieder hatte sie in der Vergangenheit Dinge geahnt, die dann auch tatsächlich so eintrafen. Doch das waren Kleinigkeiten gewesen, kaum der Rede wert. Zudem hatte sie damals gerade erst gelernt, mit ihren Zauberkräften richtig umzugehen.
»Was ist?« drängte die Amazone.
Heeva schüttelte bedauernd den Kopf.
»Ich weiß nicht, Scida, wirklich nicht. Da gibt es nicht viel, woran ich mich erinnern könnte. Ein Gewölbe… Ich sah Burra, Tertish und die anderen, sie hielten ihre Schwerter in Händen. Und ich hörte Fronja schreien…«
Sie hatte noch mehr sagen wollen, wurde aber von einer heftigen Handbewegung der Kriegerin unterbrochen. Auch Siebentag, der sich bislang recht unbeteiligt gab, schien zu lauschen.
Nichts. Nur das verhaltene Geräusch hastiger Atemzüge.
Schon wollte Heeva in ihrer Erklärung fortfahren, als es erneut zu hören war. Deutlicher diesmal. Ein leises Scharren über ihren Köpfen.
»Haryien!« flüsterte Scida.
Die Kriegerinnen huschten auseinander. In ihren Händen blitzten die Schwerter.
Das Scharren wurde deutlicher, zweifellos verursacht von den Krallen eines oder mehrerer der Vogelwesen. Es näherte sich dem Treppenaufgang.
»Tut so, als hättet ihr nichts bemerkt«, mahnte Scida.
»Aber was…?«
»Irgend etwas, Lankohr. Falls Heeva recht behält, geht es vielleicht um dein Leben.«
»Wenn ich geahnt hätte, was mich in der Schattenzone erwartet«, jammerte er, »ich hätte mich nie darauf eingelassen. Wie schön war es doch am Hexenstern.«
»Angst-Aase«, platzte Heeva heraus. »An mich denkst du dabei überhaupt nicht.«
Da waren Schritte auf der Treppe. Ein düsterer Schemen schoß die Stufen herunter, riß Lankohr von den Beinen, wirbelte ihn zur Seite und stürzte sich auf Heeva. Die Aasin schrie gellend auf, als ein harter Flügelschlag sie zu Boden warf. Im Nu war die Haryie über ihr.
In diesem Augenblick dachte Heeva nicht daran, ihre Zauberkräfte einzusetzen. Sie hatte genug damit zu tun, den zupackenden Fängen zu entgehen.
Plötzlich bäumte sich die Angreiferin auf, kippte haltlos zur Seite.
Scida wischte ihre Schwester am Federkleid der Getöteten ab.
»Glaubten diese Mischwesen allen Ernstes, uns zu viert übertölpeln zu können?« fragte einer der Amazonen irritiert.
»Ich hätte Asmilai für klüger gehalten«, pflichtete Scida bei.
»Dann sollten wir hinaufgehen und nachsehen, solange wir das Überraschungsmoment auf unserer Seite haben. Womöglich lauern sie oben auf uns.«
*
Er hatte sich geirrt. Die Freude der Haryien war unverkennbar. Sie führten gewiß nichts Übles im Schilde.
Mythor wollte die Arme heben und um Ruhe heischen für das, was er zu sagen hatte, da schnappten die Rippen des Skeletts zu.
Mythor zerrte mit beiden Händen an den Knochen, um sie aufzubiegen oder zu zerbrechen, aber seine Kräfte reichten nicht aus. Und da war etwas, das ihn daran hinderte, Gewalt anzuwenden.
Langsam klappten auch die Flügel zu, legten sich um seinen Leib und über seine Beine. Und von oben stülpte sich der nun weit aufgerissene Schnabel über seinen Kopf.
Mythor erschauderte unter der Berührung.
Alton! Schoß es ihm durch den Sinn. Seine Finger ertasteten den Knauf des Gläsernen Schwertes, doch vermochte er die Klinge nicht aus der Scheide zu ziehen.
Etwas flüsterte ihm ein, daß er keine Angst zu haben brauche. Alles würde gut werden…
Das Gewölbe verschwamm vor seinen Augen. Er sah nur noch die Haryien, hörte ihren Jubel von ganz weit her.
Was geschah mit ihm?
Mythor war außerstande zu begreifen. Etwas zwängte sich in seine Gedanken und ließ sie träge werden.
Vergiß, wer du gewesen bist! Werde einer von uns, bestimme die Geschicke der Nesfar, und dein Leben wird nie enden.
Nein! Alles in Mythor bäumte sich dagegen auf. Er ahnte, daß er für immer verloren war, wenn er dem lautlosen Drängen nachgab. Ein Leben ohne Fronja bedeutete ihm nicht mehr viel. Mit letzter Anstrengung kämpfte er gegen die
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